Der Gesandte des Papstes
noch
das Quellwasser angerührt. Raoul fragte sich, ob das auch ibn-Marzuq aufgefallen war.
Der Wesir hatte die Beine untergeschlagen und tunkte ein Stück Brot in den Honig. »Mich verfolgen. Wenn der Sultan erfährt, was er getan hat, ist er so gut wie tot. Er weiß das.«
»Dann findet er auch heraus, dass Jada und ich noch am Leben sind«, sagte Raoul, der mit dem Rücken an einem Fass voller Haselnüsse kauerte. Das Haus wurde vom Pfarrer als Vorratslager benutzt.
»Und wenn schon. Hier findet er uns nicht.« Ibn-Marzuq biss ab, und Honig troff in seinen Bart.
Das Dorf befand sich in einem schwer zugänglichen Tal abseits der Straße nach Westen. Wer Armenien verlassen wollte, hatte keinen Grund, das Tal zu betreten. Nicht einmal die Mongolen kamen hierher, weshalb sie diesen Weg eingeschlagen hatten. Vermutlich hatte ibn-Marzuq recht. Trotzdem konnte Raoul dessen Unbekümmertheit nicht teilen. Er sah noch immer al-Munahids Lächeln vor sich, als sie in dem Schuppen eingesperrt gewesen waren. Der Söldnerführer wollte ihren Tod und würde nicht zulassen, dass man ihn darum betrog.
Raoul stand auf und ging einige Schritte auf dem knarrenden Boden auf und ab. Sein Rücken schmerzte. Es würde noch eine Weile dauern, bis er sich an den mongolischen Sattel gewöhnt hatte. Vor einem Fenster blieb er stehen. Weit unter ihm, unsichtbar in der Dunkelheit, rauschte ein Bach durch die enge Schlucht: ein fernes Flüstern, das beinahe vom Zirpen der Zikaden übertönt wurde. Zum ersten Mal seit ihrer Flucht vor al-Munahid dachte er an Matteo. Raoul konnte nicht einschätzen, ob der Toskaner noch eine Gefahr für sie bedeutete. Da er nicht wie sie zum Jurtenlager gebracht worden war, hatten die Mongolen ihn entweder an Ort und Stelle getötet, oder er war ihnen entkommen. In diesem Fall hatte er es gewiss nicht aufgegeben, für Morra das Zepter zu beschaffen. Zwar war es wahrscheinlich, dass er ihre Spur inzwischen verloren hatte, doch
Raoul unterschätzte Matteo nicht mehr so wie früher. Wir haben keine Wahl, als weiter wachsam zu sein, dachte er.
Raoul wandte den Kopf, als hinter ihm ibn-Marzuq Jada fragte: »Was habt Ihr mit dem Zepter zu tun?«
»Das geht Euch nichts an«, entgegnete Jada abweisend.
Der beiläufige Ton des Wesirs wich einem schärferen. »Wir sind aufeinander angewiesen. Ein wenig mehr Vertrauen würde unsere Lage beträchtlich erleichtern.«
»Dann beweist mir, dass ich Euch vertrauen kann.«
»Bei Allah, ich habe Euch vor dem Henkersschwert gerettet! Genügt das nicht?«
Jadas Blick verriet, dass es nicht genügte, doch sie verzichtete auf eine zornige Erwiderung. Ruhig sagte sie: »Es ist eine persönliche Angelegenheit. Ich möchte nicht darüber sprechen.«
Ibn-Marzuq schien sich damit abzufinden, dass er nicht mehr aus ihr herausbrachte. Er blickte Raoul an. »Und Ihr? Warum sucht Ihr das Zepter?«
Raoul kehrte zu seinem Platz zurück, schlug die Beine unter und trank einen Schluck von dem bitteren, nahrhaften Bier. Er sah keinen Grund, ibn-Marzuq die Wahrheit zu verschweigen. »Wegen seiner Heilkräfte.«
»Ihr seid krank?«, fragte der Wesir mit der üblichen Mischung aus Neugierde und Angst.
»Ja. Ein Geschwür in der Lunge.«
Ibn-Marzuq entspannte sich. Er lehnte sich zurück, und seine Stimme bekam einen ehrfürchtigen Klang. »Sorgt Euch nicht. Es gibt kein Leiden, das das Zepter nicht zu heilen vermag. Wenn es seine Macht entfaltet, wird Euch sein, als berühre Euch Allahs Hand.«
Bei diesen Worten kehrte Raouls Unruhe zurück. »Ihr habt gesehen, wie es heilt?«
»Ich habe es am eigenen Leib erfahren. Al-Munahid hat mir den Dolch in die Seite gestoßen, um die Wirkung des Zepters
zu erproben. Sie hätte größer nicht sein können. Die Wunde ist verschwunden, als wäre nie etwas geschehen.«
»Zeigt sie mir«, forderte Raoul ihn auf.
Der Wesir zog sein Gewand in der Nierengegend straff, sodass ein klaffender Schnitt im Tuch zum Vorschein kam, dessen Ränder dunkel von getrocknetem Blut waren. Darunter sah Raoul helle Haut, unversehrt, ohne die kleinste Narbe.
Schweigend setzte er sich wieder. Eben noch war er müde gewesen, doch der Anblick der geheilten Wunde hatte die Erschöpfung schlagartig vertrieben.
Als ibn-Marzuq sein Gewand ordnete, fragte Jada in schneidendem Ton: »Weiß al-Munahid auch über die anderen Kräfte Bescheid?«
Ibn-Marzuqs Blick ruhte lange auf ihr. »Nein«, sagte er schließlich. »Er ahnt nicht einmal etwas davon.«
»Seid Ihr ganz
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