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Der Gesandte des Papstes

Titel: Der Gesandte des Papstes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Lode
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die Wahrheit kannte.
    Den Rest der Geschichte musste er nicht hören; er ahnte, was geschehen war. Als die verstrichenen Jahre keinen Zweifel mehr an Antonius’ Tod gelassen hatten, war Jada durch die Welt gewandert, heimatlos, eine Verlorene, die nirgendwo hingehörte. Vielleicht hatte es Menschen gegeben, die sie geliebt hatte, aber Menschen wurden alt und starben, während für Jada
ein paar Jahrzehnte nur ein Seufzer in der Zeit waren. Wenn es auffiel, dass ihr Haar nicht grau und ihr Gesicht nicht faltig wurde, zog sie weiter, in eine andere Stadt, ein anderes Reich, wo niemand sie kannte … bis alles von vorne begann.
    Und jetzt, tausend Jahre später, saß sie hier, bei ihm.
    Raoul rückte näher ans Feuer. Er fror. »Hast du je bereut, was du getan hast?«
    »Niemals«, sagte sie, ohne den Blick von den Flammen zu nehmen.
    »Aber jetzt willst du zurück zu deinem Volk, nicht wahr? Du hoffst, dass sie dich wieder aufnehmen, wenn du ihnen das Zepter bringst.«
    »Tausend Jahre sind selbst für uns Djinn eine lange Zeit. Ich ertrage die Einsamkeit nicht mehr.«
    Natürlich, darauf lief alles hinaus. »Du hast mich«, sagte er mit brüchiger Stimme.
    Schweigend sah sie ihn an.
    »Aber wie lange?«, flüsterte sie. »Dreißig Jahre? Vierzig? Willst du, dass ich mit ansehe, wie du als alter Mann stirbst? Was soll ich tun, wenn auch du fort bist?«
    Er griff nach ihrer Hand. »Du liebst mich. Ich habe es in deinen Augen gesehen. Im Lager der Mongolen.«
    »Das hat damit nichts zu tun. Das weißt du, Raoul.« Jada stockte. Als sie weitersprach, war ihre Stimme voller Schmerz. »Es gibt keine Zukunft für uns.« Ruckartig entzog sie sich ihm und stand auf.
    Das Feuer war fast erstorben. Raoul sah zu ihr auf, schaute in ihr ebenmäßiges Gesicht, auf das hochgesteckte nachtschwarze Haar, das ihr immerzu in Strähnen auf die Wange fiel, und in die rätselhaften Augen, die im Dunklen lagen. »Das ist alles?«, erwiderte er leise. »So endet es, nach allem, was geschehen ist?«
    »Es muss enden, bevor es anfängt.« Dann wandte sie sich ab und ging zur Tür.

    Raoul erhob sich. Alles um ihn herum schien sich aufzulösen.
    »Jada!«
    Die weiße Gestalt blieb stehen.
    »Bleib bei mir. Wenigstens heute Nacht.«
    Lange Zeit stand sie da, schweigend und reglos, und die Dunkelheit verbarg die Regungen ihres Gesichts. Dann trat sie zu ihm, legte die Hand auf seine Wange, berührte seine Haut, sein Haar, während ihre Linke die Silberbrosche an ihrem Schlüsselbein öffnete und das Gewand abstreifte, sodass es mit einem Flüstern zu Boden glitt.

DREIUNDZWANZIG
     
     
    M atteo Gaspare schlang die Decke enger um die Schultern, hauchte in die Hände und murmelte ein lautloses Gebet, wie immer, wenn er versuchte, Gedanken an die Hölle abzuschütteln. Kein Katharergebet, denn das hätte alles nur noch verschlimmert, sondern eines, das er im Noviziat gelernt hatte. Diese unvermittelte Furcht vor dem Fegefeuer suchte ihn fast täglich heim, seit Kardinal Morra ihn aus den Kerkern der römischen Inquisition geholt hatte. Matteo hatte sich beinahe daran gewöhnt, aber in den letzten Tagen war es unerträglich geworden.
    Vielleicht weil die Rettung genau vor meiner Nase liegt und ich nur zugreifen müsste, dachte er missmutig und rutschte auf dem harten, unebenen Erdboden herum, bis er eine Stelle fand, auf der er es wieder eine Weile aushielt. Sobald die Sonne unterging, wurde es empfindlich kalt im Hochland, und er sehnte sich nach einem Feuer. Es war jedoch völlig ausgeschlossen, dass er eines entzündete; der Schein hätte ihn sofort verraten. Matteo erwog nicht zum ersten Mal, seinen Beobachtungsposten auf dem Felsen hinter den stinkenden Distelbüschen aufzugeben, in eine Senke hinunterzusteigen und dort Feuer zu machen. Doch er wagte nicht, al-Munahids Lager auch nur für kurze Zeit aus den Augen zu lassen. Zu oft schon hatte er die Spur der Söldner um ein Haar verloren.
    Die Sarazenen lagerten keine Bogenschussweite entfernt in einer geräumigen Höhle in der Felswand, kauerten um ein Feuer, für das er sie mit ganzer Seele beneidete, und brieten Spieße aus wilden Zwiebeln, Apfelstücken und Fleisch. Das verdammte
Zepter lag in al-Munahids Schoß, eingeschlagen in eine Decke, als wäre es ein Neugeborenes, das der Söldner mit Leib und Leben zu schützen geschworen hatte. Sogar wenn er schlief, behielt er es nah am Körper - doch nicht so nah, dass ein geschickter Dieb nicht hätte versuchen können, es zu stehlen. In den

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