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Der Gesandte des Papstes

Titel: Der Gesandte des Papstes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Lode
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verbergen. »Bonifatius war bestrebt, die Eigenständigkeit unserer Kirche zu wahren und sie vor den gierigen Händen weltlicher Mächte zu schützen«, erwiderte er schärfer als gewollt.
    Boccasini beugte sich nach vorne, und in seinen Augen blitzte der Jähzorn auf, für den dieser Mann berüchtigt war. »Wollt Ihr Unsere Weisheit in Frage stellen, Morra?«
    Morra hatte die Lanzenträger in den dunklen Bogengängen des Saals bemerkt. Zu Bonifatius’ Zeiten hatten sich nie so viele Bewaffnete hier aufgehalten. Er fragte sich, wie viele Anhänger des verstorbenen Papstes, die in den letzten Tagen vor diesen Thron getreten waren, sich kurz darauf in den Verliesen der Inquisition wiedergefunden hatten. Er war zu weit gegangen. Erneut verneigte er sich. »Ich bitte um Verzeihung, Heiliger Vater. Es stand mir nicht zu, so zu sprechen.«
    Der Papst nickte nur und lehnte sich zurück. »Wegen Eurer Verdienste haben Wir beschlossen, Milde mit Euch walten zu
lassen. Wir haben mit dem Abt eines Dominikanerklosters bei Lugano gesprochen. Er wäre bereit, Euch aufzunehmen.«
    Morras Laufbahn in der Kirche hatte in einem Dominikanerkloster begonnen. Er hatte mit einer Demütigung gerechnet, mit einem niedrigen Posten im Lateranpalast etwa. Aber dass der Papst ihn zu seinem eigenen Orden zurückschickte, war ein Entgegenkommen. Möglicherweise fürchtete Boccasini Morras Einfluss in der Kurie und wollte ihn nicht mehr gegen sich aufbringen als unbedingt notwendig. Lugano lag am Rand der Alpen; der Papst wollte lediglich, dass ein möglicher Gegner weit von Rom fort war und ihm nicht mehr in die Quere kam.
    Morra war über die Entscheidung weder zornig noch erleichtert; er fühlte gar nichts. Er brauchte Zeit. Zeit zum Gebet und zum Nachdenken. »Ich danke Euch, Heiliger Vater«, sagte er leise.
    Boccasini musterte ihn mit ausdrucksloser Miene, als versuche er zu ergründen, was für ein Mann das war, der das Vertrauen seines verhassten Vorgängers genossen hatte. Schließlich sagte er: »Du darfst dich zurückziehen, Bruder Giuseppe.«
    Und Bruder Giuseppe verließ den Lateranpalast. Er betrat ihn nie wieder.
     
    »… sodass nun niemand das Zepter besitzt, weder Rom noch al-Munahid noch wir«, beendete Harun ibn-Marzuq seinen Bericht.
    Sultan an-Nasir Muhammad schwieg lange Zeit. Er saß mit untergeschlagenen Beinen in den Kissen des großen Wohnturms der Kairoer Zitadelle, durch dessen hohe Fenster das Abendlicht schien, und betrachtete den goldenen Klumpen in seiner Hand: der verformte Kopf des Zepters. Nach mehreren Minuten hob er den Kopf und sah den Wesir aus seinen jungen und doch so alten Augen an. »Ich bin ratlos, alter Freund. Ich weiß nicht, ob du für diese Geschichte das Beil des Henkers oder einen fürstlichen Lohn verdient hast.«

    Ibn-Marzuq spürte, wie seine Handflächen feucht wurden, und das nicht nur wegen der Hitze. Er wägte jedes Wort sorgfältig ab und holte tief Luft. »Erlaubt Ihr mir einen Vorschlag, mein Gebieter?«
    Der Sultan nickte.
    »Entlasst mich aus Euren Diensten. Es gibt genügend Männer, die Euch besser dienen können. Gebt meinen Posten Abdul ed-Din.«
    Bei der Erwähnung von ibn-Marzuqs altem Feind hob der Sultan eine Augenbraue. »Bist du sicher, dass du das willst?«
    »Niemand ist besser geeignet, in Rom Geheimnisse zu lüften«, sagte ibn-Marzuq und dachte: Soll der alte Hurensohn in Zukunft um die halbe Welt reisen und sich mit wahnsinnigen Söldnern und verfluchten Zeptern herumschlagen.
    »Und du? Was wird aus dir?«
    »Ich ziehe mich auf mein Sommerhaus im Nildelta zurück und werde meinen Leidenschaften nachgehen.«
    »Lesen und Dichten, nicht wahr?«
    »Ja.« Lesen und Dichten, genau das - und niemals wieder etwas anderes.
    Sultan an-Nasir dachte nach. »Du hast dir dein Versagen eingestanden und wählst als Lohn die Einsamkeit. So soll es sein.« Der erste Teil des Satzes war nicht für ibn-Marzuq bestimmt; er würde in der nächsten Zusammenkunft des Rates fallen und den anderen Wesiren zeigen, dass der Sultan mild war, Fehler aber nicht duldete und von den Verantwortlichen ein entsprechendes Handeln erwartete. Wieder einmal bewunderte ibn-Marzuq die Weisheit des jungen Herrschers.
    »Ich danke Euch, mein Gebieter. Eure Großzügigkeit wird nur noch von Eurer Güte übertroffen.«
    Ibn-Marzuq warf sich vor dem Sohn des Himmels nieder und entfernte sich. Draußen ging er mit beschwingten Schritten durch den blühenden Garten der Zitadelle zu seiner Sänfte, die am Tor des

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