Der Gesandte des Papstes
kommen hunderte Reisende am Hafen an.«
»Was machen wir jetzt?«, fragte Gaspare, während sie zum Tor in der Wehrmauer gingen.
»Es bleibt alles beim Alten«, sagte der Venezianer mit finsterer Miene und schwieg den Rest des Weges.
Zielstrebig führte er sie zur Mitte der Stadt, weil er sich in Konstantinopel auskannte. Raoul hatte erfahren, dass er nach dem Krieg zwei Jahre hier gelebt hatte. Sie mussten zu Fuß gehen. Ihre Pferde hatten sie in Kilikien verkauft, denn in der Eile hatte sich kein Schiff gefunden, das die Tiere mitgenommen hätte.
Konstantinopel war nicht so, wie Raoul es sich vorgestellt hatte. Er hatte eine Stadt erwartet, die all den Glanz und Prunk besaß, den Rom verloren hatte: Kirchen mit vergoldeten Kuppeln, Paläste aus Porphyr und Marmor mit weitläufigen Gärten,
breite Straßen voller Leben und Wohlstand. Stattdessen sah er vernachlässigte Gotteshäuser, überwucherte Ruinen, hölzerne Amtsgebäude auf den Grundmauern zerstörter Hallen - und ebenso viele Bettler wie in jeder anderen Stadt. Erst auf dem Forum des Theodosius, einem großen Platz im Herzen der Landzunge, hatte er das Gefühl, in der Kapitale eines einstigen Weltreichs zu sein.
Battista wählte eine Herberge, die von den Mönchen eines nahen Klosters geführt und vornehmlich von Wanderarbeitern und Pilgern bewohnt wurde.
»Die Zimmer sehen aus wie Mönchszellen«, murrte Gaspare, während der Venezianer mit den Mönchen über den Preis der Unterkunft verhandelte. Er prüfte sein Bett. »Natürlich, hart wie Granit. Wahrscheinlich müssen wir mitten in der Nacht aufstehen und beten. Gütiger Jesus, die ein oder andere Annehmlichkeit nach all den Anstrengungen wäre doch wohl nicht zu viel verlangt. Aber nichts gönnt er uns!«
»Es ist sein Geld«, sagte Raoul. »Er kann damit machen, was er will.« Er probierte seine Liege aus. Sie mochte hart sein, aber sie war ein Bett - eine Wohltat nach den Nächten in der engen, stickigen Kajüte der »Tríton «. Trotz des geringen Komforts hatte ihm die Überfahrt gutgetan: Er war wieder zu Kräften gekommen, und seine Kopfverletzung hatte endlich verheilen können.
Der Toskaner verstaute sein Gepäck unter dem Bett. »Zum Teufel mit seinem Geld. Er ist ein Schinder und Geizhals!«
»Schau, dafür gibt es einen Waschzuber.«
Gaspare blickte über die Bettkante und funkelte ihn böse an.
Kurz darauf gingen sie weiter zum Blachernenpalast, dem Wohnsitz von Kaiser Andronikos II.: Ein Labyrinth aus Gebäuden erstreckte sich auf der Anhöhe über dem Goldenen Horn, fest verwachsen mit der Theodosianischen Landmauer. Noch nie hatte Raoul eine solch gewaltige Festungsanlage gesehen. Sie schirmte Konstantinopel zum Festland hin ab, eine
vierzehn Meilen lange doppelte Stadtmauer mit fast hundert vier-, sechs- und achteckigen Türmen und zahlreichen Toren. In neunhundert Jahren war es keinem Feind gelungen, sie zu überwinden. Selbst das Kreuzfahrerheer, das Konstantinopel vor hundert Jahren verwüstet hatte, war daran gescheitert und hatte die Stadt nur mit Hilfe der Venezianer, die vom Meer aus angriffen, einnehmen können.
Die Kämpfe hatten auch den Kaiserpalast schwer beschädigt; viele Teile waren bis heute nicht wieder aufgebaut oder lediglich durch Holzgebäude ersetzt worden. Da sie Morras Brief, der ihnen Einlass verschafft hätte, nicht mehr vorweisen konnten, nahm Battista den Hauptmann der Torwächter zur Seite und steckte ihm unauffällig einen Hyperpyron, eine byzantinische Golddrachme, zu. Raoul hatte gehört, dass die Moral der kaiserlichen Wache schlecht sei, weil die Männer weniger Sold bekämen als die spanischen Söldner, die den Rest des Heeres bildeten. Dennoch überraschte es ihn, dass der Hauptmann - immerhin ein vom Kaiser persönlich vereidigter Soldat - sie ohne ein weiteres Wort passieren ließ.
Ein von duftenden Magnolienbäumen gesäumter Kiesweg führte zu der Bibliothek, die sich im Keller eines leer stehenden Wohnturmes befand. Battista redete mit dem jungen Archivar. Da die beiden auf Griechisch miteinander sprachen, übersetzte Gaspare für Raoul. Es stellte sich heraus, dass die Schriftrolle schon lange nicht mehr in den Archiven des Blachernenpalasts war. Möglicherweise sei sie vor der Plünderung zu einem geheimen, in Vergessenheit geratenen Ort gebracht worden. Der Archivar bestätigte, dass sie nicht die Einzigen waren, die das Schriftstück suchten: Vor einigen Tagen habe schon einmal jemand nach ihr gefragt, ein arabischer
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