Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Gesandte des Papstes

Titel: Der Gesandte des Papstes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Lode
Vom Netzwerk:
bint-Ghassan war nach links, in Richtung der Zisterne, gegangen. Raoul hielt nach Michele Ausschau, entdeckte ihn jedoch nirgends. Richtig - er hatte dem Diener beim Angriff der Söldner zugerufen, zu fliehen.
    Rovelli!, durchfuhr es ihn. Im Turm hatte er die Leiche des alten Mannes nicht entdeckt. Er blickte nach rechts, in die andere Richtung und sah auf dem Boden einen Körper liegen. Es konnte kein Söldner sein, denn so weit hinten hatten sie nicht gekämpft.
    »Wartet!«, rief er der Ägypterin zu. Das Feuer dort brannte mit unverminderter Kraft, die Luft schien zu kochen. Raoul drehte den Körper auf den Rücken. Die Leiche war übel zugerichtet, aber das schlohweiße Haar, die runzlige Haut und die Fetzen eines kostbaren Tuches ließen keinen Zweifel daran, dass es sich um Gregorio Rovelli handelte. Obwohl Raoul den Genuesen nicht gekannt hatte, fühlte er sich ihm auf seltsame Weise verpflichtet. Er brachte den Körper in eine würdevolle Position und schloss ihm die Augen.
    »Kommt!«, hörte er Jada bint-Ghassans Stimme. »Wir haben keine Zeit!«
    Raoul lief zurück zu Gaspare, der einen sicheren Abstand zur Ägypterin hielt. Gemeinsam hasteten sie hinter ihrer Retterin durch den Tunnel. Bei ihrer überstürzten Flucht hatten es die Söldner versäumt, den Balken über der Spalte zu entfernen. Mit einer Behändigkeit, die außergewöhnlichen Gleichgewichtssinn voraussetzte, erreichte sie die andere Seite, gefolgt von Raoul und Gaspare. Als sie den Schuttberg zur Zisterne hinabkletterten, regte sich etwas in der Finsternis zwischen den Säulen.
    Jada bint-Ghassan zückte einen gekrümmten Dolch, doch Raoul beruhigte sie: »Nein. Es ist ein Freund.« Trotz der Dunkelheit in der unterirdischen Zisterne, die kaum von dem schwachen
Mondlicht, das durch den Brunnenschacht in der hohen Decke sickerte, aufgehellt wurde, erkannte er die Gestalt anhand ihrer unsicheren Bewegungen.
    »Herr von Bazerat!«, rief Michele aufgeregt. »Wo ist Gregorio? Und Battista? Was, bei allen Heiligen, ist geschehen? Und wer ist das?«, fragte er mit Blick auf die Ägypterin.
    »Dein Herr ist tot. Und Battista auch«, sagte Raoul.
    Michele hatte seine Fragen mit fahrigen Gesten untermalt. Jetzt sanken seine Arme herab, und er stand reglos da. »Was? Das kann nicht sein. Wir sind doch rechtzeitig gekommen. Seid Ihr sicher, dass …«
    »Wir haben keine Zeit für Fragen«, fuhr Jada bint-Ghassan ihn an. »Wir müssen fort. Vielleicht sind noch Söldner hier.«
    »Später«, sagte Raoul zu Michele und wollte den Sims zu dem Damm aus Trümmern hinunterklettern.
    »Nicht da entlang«, sagte die Ägypterin. »Möglich, dass al-Munahid das Badehaus bewachen lässt.« Erst jetzt bemerkte Raoul, dass sie ein Seil von einer Säule losband. Es führte hinauf zum Brunnenschacht. Jada bint-Ghassan musste diesen Weg genommen haben, als sie ihnen gefolgt war - aus Gründen, die nur sie allein kannte.
    Michele blickte zur Öffnung in der hohen Decke hinauf, und in seiner Stimme schwang Angst mit. »Das schaffe ich nicht! Ich kann nicht klettern! Ich fürchte mich vor großen Höhen.«
    »Wir ziehen dich hinauf«, schlug Raoul vor. Eilig einigten sie sich auf die Reihenfolge. Jada bint-Ghassan machte den Anfang und erklomm das Seil so gekonnt, wie sie den schmalen Balken überquert hatte. Raoul sah ihr hinterher, und unzählige Fragen drängten mit Macht auf Antworten. Aber sie hatte recht: Jetzt war nicht die Zeit dafür. Nach ihr kam Gaspare. Er und die Ägypterin zogen Michele hinauf, der sich das Seil um den Leib gebunden hatte und sich krampfhaft daran festklammerte.
    Kampf und Hitze hatten Raouls Kräfte aufgezehrt. Jetzt, da die Anspannung langsam von ihm abfiel, spürte er Schwindel
und eine zunehmende Schwere in den Gliedern. Zum ersten Mal seit dem Gewaltritt durch das Amanusgebirge schmerzte ihn wieder jeder Atemzug. Er war ein geübter Kletterer, aber jetzt kamen ihm Zweifel, ob er es hinauf zum Brunnen schaffte.
    Als Michele die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatte, wurde Raoul auf das Fackellicht im Gang zum Badehaus aufmerksam. Es kam rasch näher, genau wie die hallenden Schritte mehrerer Männer.
    »Beeilt euch!«, rief er zum Brunnen hinauf und blickte wieder zum Tunnel. Jada bint-Ghassan und Gaspare waren zu langsam. Er würde kämpfen müssen. Allerdings würden die Söldner keine großen Schwierigkeiten mit ihm haben. Dieser Judas von Körper ließ ihn ausgerechnet jetzt im Stich. Wenn es wenigstens nur ein Gegner gewesen

Weitere Kostenlose Bücher