Der Gesandte des Papstes
einigermaßen lesbar. Er breitete die Bruchstücke vor sich aus und nahm sich eine Kerze.
Der dritte Teil der Vita Antonii war weitaus kürzer als die ersten beiden. Sein Herzschlag raste beim Lesen. Der Inhalt war erstaunlich. Wäre er ein Christ gewesen, hätte ihn das, was er da las, vermutlich zutiefst bestürzt. Denn der erste Teil der Vita - was die Christenheit für die Lebensgeschichte des heiligen Antonius hielt - bestand nur aus Lügen.
Er las das Pergament immer wieder, bis das erste Licht des Tages hereinkroch. Die Männer hatten sich erschöpft schlafen gelegt. Außer ihm war nur al-Munahid aufgeblieben. Schweigend saß der Söldnerführer da, blickte hin und wieder aus einem der Fenster und kehrte dann an seinen Platz zurück. Als schwere Schritte die Treppe heraufkamen, stand er ruckartig auf.
Der Mongole, Najib und Armin kamen herein. Der Deutsche war völlig durchnässt. In seinem Gesicht las ibn-Marzuq, dass die drei schlechte Nachrichten hatten und ihm die Aufgabe zugefallen war, sie al-Munahid zu überbringen.
»Was ist geschehen?«, wollte der Söldnerführer wissen.
Armin nahm seinen Helm ab. Das nasse Haar klebte an seinem Kopf. »Sie sind entkommen. Wir wissen nicht, wie. Offenbar hat ihnen jemand geholfen. Eine Frau.« Was der Deutsche mit der Sprache des heiligen Korans anstellte, tat ibn-Marzuq in der Seele weh.
Armin wollte noch etwas sagen, doch al-Munahids Faust schnellte vor. Der Schlag kam so heftig und überraschend, dass der Deutsche zu Boden geschleudert wurde. Das Scheppern seines Helms weckte einige der schlafenden Männer.
Al-Munahid öffnete seine Faust und schloss sie langsam wieder.
Seine Stimme bebte. »Wer ist entkommen? Und was für eine Frau?«
Es war Najib, der antwortete. Er und der Mongole waren einen Schritt zurückgewichen. »Der Ritter, der andere Kerl und Rovellis Lakai. Wer die Frau ist, wissen wir nicht. Wir konnten ihr Gesicht nicht sehen.« Der Junge zuckte zusammen, als al-Munahid seine Haltung änderte, doch es kam kein weiterer Schlag. Der Söldnerführer wandte sich ab und ging zu einem Fenster. Reglos blickte er hinaus.
Inzwischen waren alle Männer wach. Armin rappelte sich auf und ging wie Najib und der Mongole zu seinem Platz. Niemand sprach, denn alle fürchteten, al-Munahids Zorn auf sich zu ziehen.
Narren, dachte ibn-Marzuq verächtlich und widmete sich wieder der Schriftrolle. Nun wusste er, wo das Zepter des Suleyman versteckt war.
Leider sprach alles dafür, dass er noch viele Wochen auf sein Bad warten musste.
ZWÖLF
G raues Dämmerlicht fiel durch Löcher in der Decke, als Raoul zu sich kam. Weiße, fleckige Wände umgaben ihn, Staub und Schutt lagen in den Ecken des geräumigen Zimmers. Er erinnerte sich an Flucht, an Angst und Schmerz. Schmerz, der jede Faser seines Körpers ausgefüllt hatte. Sie hatten in diesem verfallenen, einst herrschaftlichen Anwesen in einem der unbewohnten Viertel an der Landmauer Schutz gesucht. Ihr Nachtlager hatten sie sich im ersten Geschoss bereitet.
Jada bint-Ghassan … Sie hatte sie gerettet, war durch die Flammen gegangen wie durch Vorhänge aus Seide. Ja. Es war kein Traum gewesen. Cristoforo Battista war erschlagen worden, aber Michele, Gaspare und er selbst hatten überlebt. Dank ihr.
Als die Schlaftrunkenheit von ihm abfiel, erwachte auch der Drang, Antworten auf seine zahllosen Fragen zu bekommen.
Allerdings war die Ägypterin verschwunden. Michele schlief neben ihm, die Knie an den Körper gezogen, den Kopf auf den Armen. Jemand hatte eine Decke über ihn gebreitet. Raoul stand auf, bog Schulter und Rücken nach hinten, um die Schwere in den Gliedern abzuschütteln. Vom Schmerz in seiner Brust war nur noch ein leiser Nachhall übrig. Sein Atem fühlte sich rau an. Vor dem Einschlafen, erinnerte er sich, hatte er aus einem Wasserschlauch getrunken. Raoul suchte ihn und bemerkte dann, dass auch Gaspare wach war.
Eingehüllt in eine Decke kauerte der Toskaner in einer Ecke des Zimmers, die Augen von Schatten unterlegt. »Guten Morgen«, murmelte er.
»Wo ist unsere Retterin?«, fragte Raoul leise, aus Rücksicht auf Michele.
»Draußen. Frisches Wasser holen.« Gaspare unterdrückte ein Gähnen. Raoul sah ihm an, dass er die ganze Nacht wach gelegen war.
»Warum hast du nicht geschlafen?«
»Einer musste ja Wache halten.«
Der gereizte Unterton entging Raoul nicht. »Jada bint-Ghassan ist keine Gefahr für uns, Matteo.«
»Dafür, dass du sie nicht kennst, scheinst du dir ja
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