Der Gesandte des Papstes
wäre und nicht mehrere … Er verfluchte sich dafür, dass er seine Armbrust im Turm zurückgelassen hatte.
Ein Pfeil schwirrte heran, fiel platschend ins Wasser, und Raoul suchte hinter einer Säule Deckung. Michele verschwand oben im Brunnenschacht.
»Macht schon!«, schrie Raoul. Er spähte zum Tunnel: drei Söldner. Einer, ein Mongole, blieb mit dem Bogen in der Öffnung stehen und zog einen Pfeil aus seinem Köcher. Die anderen beiden kletterten den Sims hinunter und setzten vorsichtig ihre Füße auf den Damm aus Trümmern. Der Vordere hielt in der Rechten ein Schwert, in der Linken eine Fackel … und war zu Raouls Überraschung kein Sarazene, sondern ein Franzose vielleicht oder ein Mann aus dem Reich. Es bestand jedoch kein Zweifel daran, dass er zu al-Munahids Schakalen gehörte. Langes Haar quoll unter dem Helm hervor, ein verschlagenes Lächeln lag auf seinen Lippen. Raoul fragte sich unwillkürlich, welche Gottlosigkeit einen Christen dazu trieb, einem Mann wie Kadar al-Munahid zu dienen.
Das Seilende fiel aus dem Brunnenschacht, verfehlte den
Sims und klatschte ins Wasser. Raoul musste seine Deckung aufgeben, um es zu erreichen. Er stürzte nach vorn, umschloss es mit beiden Händen und schwang über die Wasseroberfläche, was ihn vor dem Pfeil des Mongolen rettete. Das Geschoss sirrte weit an ihm vorbei.
»Zieht mich hoch!«, brüllte er. Der Schwung trug ihn fast bis zur gegenüberliegenden Wand. Raoul pendelte zum Sims zurück. Er musste in Bewegung bleiben, um dem Mongolen kein leichtes Ziel abzugeben. Mit den Füßen stieß er sich ab und ruckte dabei ein Stück in die Höhe, als Jada bint-Ghassan und Gaspare endlich zogen.
Die beiden Söldner kamen auf den vom feuchten Moos rutschigen und weit auseinanderliegenden Trümmern nur langsam voran. Als Raoul auf den christlichen Krieger zuschwang, hob dieser sein Schwert. Bevor er jedoch zuschlagen konnte, trat Raoul ihm mit beiden Stiefeln unter das Kinn. Der Mann wurde ins Wasser geschleudert. Sein Panzerhemd zog ihn wie einen Stein nach unten, die Fackel erlosch zischend. Der zweite Söldner, ein junger Bursche, warf sich auf den Bauch und packte die Hand des Christen.
Wieder ruckte das Seil nach oben, dann noch einmal. Raoul pendelte drei Mannslängen über dem Wasser. Der Mongole schoss und verfehlte ihn erneut, doch diesmal nur knapp. Raoul war noch niemandem begegnet, der in fast völliger Dunkelheit so genau zielen konnte. Der nächste Pfeil ging nur daneben, weil er sich im richtigen Moment um seine eigene Achse drehte.
Endlich umgaben ihn die rettenden Wände des Brunnens. Nach einem weiteren Zug seiner Gefährten konnte Raoul eine Hand vom Seil lösen, nach der Ummauerung fassen und sich hochziehen. Gaspare half ihm über den Rand. Raoul fühlte sich, als hätte er seine gesamte Kraft in der Zisterne zurückgelassen. Stacheln schienen seinen Brustkorb von innen zu durchbohren.
Doch ihre Flucht war noch nicht zu Ende.
Jada bedachte ihn mit einem Blick. Den Ausdruck in ihren seltsamen, smaragdgrünen Augen vermochte er nicht zu ergründen. War es Mitleid? Oder Verachtung für seine Schwäche? » Wir müssen weiter. Wenn wir hierbleiben, finden sie uns.«
Raouls Kehle brannte so sehr, dass er kein Wort herausbrachte. Er nickte.
Die Ägypterin eilte zum Ausgang des verlassenen Hofes, in dem sich der Brunnen befand. Michele folgte ihr ohne zu zögern.
»Brauchst du Hilfe?«, fragte Gaspare besorgt.
»Es … geht schon«, flüsterte Raoul. Bei den ersten Schritten fürchtete er zusammenzubrechen, doch als er mehr von der kühlen, reinen Nachtluft einatmete, fand er in sich einen letzten Rest von Kraft.
Jada bint-Ghassan war schon weit vorausgelaufen. Michele, der keine körperliche Anstrengung gewohnt war, kam nicht hinterher. Gaspare hielt sich neben Raoul. Die Ägypterin blieb stehen, wartete, bis die Gruppe zu ihr aufgeschlossen hatte, und passte ihre Schritte den der anderen an. Sie führte sie eine Straße entlang, die von halb zerfallenen Palästen und Amtsgebäuden gesäumt wurde. Raoul verwandte seine Kraft darauf, mit seinen Gefährten Schritt zu halten, und achtete kaum auf die Umgebung. Sie liefen durch Hinterhöfe und Gärten, in denen einst gepflegte Pflanzen Mosaikböden und Statuen überwucherten. Ihr Weg führte sie durch zerfallene Torbögen, enge Gassen, Tunnel, über Treppen hinauf und hinab, entlang des Schattens der gewaltigen Landmauer und dann wieder durch die gespenstische Ruhe aufgegebener Straßenzüge.
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