Der Gesandte des Papstes
Schritt ein Kaninchen treffen konnte. Doch insgeheim liebte Kadar sie, und wenn er mit Nadirah allein war, lachte er sogar darüber.
Als sie zu der Stelle kam, an der sich der Djinn in der Amphore versteckte, lachte er besonders laut und seine Schwester mit ihm. Es bestand keine Gefahr, dass sein Vater sie hörte, denn er saß draußen mit den anderen Männern des Stammes
am Feuer und sah dem Schwerttänzer zu, der wie ein Dämon der Nacht durch die Flammen sprang und seine Klingen im Takt der darbuka -Trommeln wirbeln ließ. Auch ihre Mütter waren nicht da. Sie waren im Zelt von Kasim at-Tawil, dessen Weib heute Nacht ein Kind gebären würde. Einen Sohn, wie Kasim hoffte, denn Töchter hatte er schon zwei.
Kadar und Nadirah waren allein, und er konnte lachen wie ein Kind, ohne befürchten zu müssen, für eines gehalten zu werden.
Nach all den Jahren sah er seine Schwester noch genau vor sich. Sein Vater, seine Mutter, die anderen Männer und Frauen des Stammes - sie alle waren nur noch Schemen in seiner Erinnerung. Unvergesslich ihr schwarzes Haar, das sie stets zu einem Zopf geflochten hatte, der ihr bis zur Hüfte fiel, ihr ovales kupferfarbenes Gesicht und ihre kleinen Hände, die vom Kämmen und Knüpfen der Kamelwolle rau waren. Nadirah war eine Schönheit, um die jeder Omar at-Tawil, dem sie versprochen war, beneidete. Sie kam ganz nach ihrer Mutter, der ersten Frau von Kadars Vater Abdul, während Kadar das schmale Gesicht und die hohlen Wangen seines Vaters geerbt hatte. Im Stamm spotteten manche, dass Abdul al-Munahids Samen nur für eine einzige Rose gereicht habe und er von da an nur noch Disteln zu Stande bringen würde. Aber es war gutmütiger Spott, denn Kadar war in den Tugenden des Kampfes allen Gleichaltrigen voraus und würde einmal einen fähigen Stammesführer abgeben. Wen scherte es da, dass er so mager und hässlich war wie sein Vater?
Rose und Distel - wenn er Jahre später daran zurückdachte, musste er lächeln. Einen treffenderen Vergleich hätte der Stamm nicht für die ungleichen Geschwister finden können.
Er sah sich wieder neben Nadirah auf der rauen Kamelhaardecke liegen, versunken in den Klang ihrer Stimme, als hätte er damals geahnt, dass er sie zum letzten Mal in seinem Leben hören würde. Als dann die darbukas verstummten und die Nacht
von Schreien und dem Stampfen von Pferdehufen erfüllt war, sprang er auf und schlug die Plane zurück, sah brennende Zelte und im Feuerschein fremde Reiter heranpreschen. Der hoch erhobene Säbel des Anführers blitzte wie ein flammender Sichelmond, und er hörte, wie sein Vater etwas rief, doch die Worte ergaben keinen Sinn …
Er schlug die Augen auf. Eine fleckige Zimmerdecke. Graues Zwielicht. Die Pritsche neben ihm war leer, die Decke unberührt.
Nadirah war nicht da.
Natürlich nicht, du Narr.
Doch noch immer rief die Stimme aus seinem Traum. Er setzte sich auf die Kante der Pritsche und blickte aus dem Fensterschlitz. Ein Händler brüllte seinen Gehilfen an, der den Obstkarren umgeworfen hatte. Er gebrauchte unverständliche Worte. Griechisch, dachte Kadar, und dann fiel ihm wieder ein, wo er war.
Trapezunt.
Er murmelte einen Fluch, zog sich an und öffnete die Tür zum Flur. Alles war still. Im Vorbeigehen warf er einen Blick in den großen Schlafraum. Seine Männer schnarchten noch. Er war von ihrem Lärm erwacht, als sie spät in der Nacht vom Hurenhaus zurückkehrten. Dass es vermutlich Mittag werden würde, bis sie auf den Beinen waren, nahm er in Kauf, solange sie bei Laune blieben. Nach den Ereignissen in Konstantinopel war das wichtiger denn je. Er zweifelte nicht daran, dass er seine Schakale tagsüber im Griff hatte. Aber er wäre nicht der erste Anführer, dem nachts die Kehle durchgeschnitten wurde, weil seine Männer glaubten, er führe sie ins Verderben.
Der Hof der Herberge war von einer mannshohen Mauer umgeben. Außer einem Knecht, der mit einem Karren frisches Heu zu den Ställen brachte, war noch kein Bediensteter auf. Im Badehaus zog Kadar sich aus, kniete sich auf die Steinfliesen neben dem Becken und schöpfte Wasser heraus, mit dem
er sich wusch. Die frühe Morgenluft war kalt, aber es machte ihm nichts aus. Wie alle Beduinen war er gegen Kälte ebenso unempfindlich wie gegen große Hitze. Das Leben in der Wüste mit seinem ständigen Wechsel von sengender Sonne und bitterkalten Nächten brachte dies mit sich.
Er schlief nie sehr tief, und gewöhnlich war er hellwach, sobald er die Augen aufschlug.
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