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Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Titel: Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdallah Frangi
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Lieblingsonkel beleidigt zu haben, ich wollte mich entschuldigen, aber er tauchte nicht auf. Am Abend desselben Tages rief uns mein Vater zusammen. Sein Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes. Ich war bereit, jede Strafe auf mich zu nehmen, aber es ging gar nicht um mich. Vielmehr überbrachte er uns die erschütternde Nachricht, dass unser Onkel Abed Rabu tot sei, erschossen – er und drei weitere Verwandte sowie vier seiner Freunde.
    Mein Onkel, so erfuhren wir, war mit den Verwandten im Jeep meines Vaters in der Nähe von Gaza unterwegs gewesen, und seine Freunde waren ihnen in einem zweiten Fahrzeug gefolgt, als der Panzerwagen einer zionistischen Untergrundorganisation auf sie zukam und das Feuer eröffnete. Mein Onkel und die anderen hatten das Feuer erwidert, aber der Gegner war mit automatischen Waffen ausgerüstet und in seinem Panzerfahrzeug auf jeden Fall besser geschützt gewesen, und unsere Leute hatten mit ihren Gewehren nicht viel ausrichten können. Nur einer von uns hatte diese Begegnung überlebt, ein Vetter meines Onkels. Als ihm die Munition ausging, hatte er sich zwischen den Erschossenen zu Boden fallen lassen und sich totgestellt. Einer der Zionisten war dann mit seiner Maschinenpistole näher gekommen und hatte jedem einzelnen Gefallenen in die Hand geschossen, auch diesem Vetter, der keinen Laut von sich gegeben, ja, nicht einmal gezuckt hatte, als seine Hand von der Gewehrsalve durchlöchert
wurde. Am selben Tag noch waren die acht Getöteten in Gaza beigesetzt worden. Der Vetter meines Onkels verlor alle Finger seiner Hand.
    An jenem Februartag des Jahres 1948 begriff ich, dass mit meinem Paradies etwas nicht stimmte. Der Einbruch der Gewalt bedeutet für ein Kind, aus einem Traum zu erwachen. Ich hätte nicht einmal sagen können, wer diese Zionisten waren, aber der Tod meines Onkels war das Schlimmste, was mir passieren konnte, und ich ahnte, dass ein unbestimmtes Verhängnis drohte. Ich war noch keine fünf Jahre alt, doch von diesem Tag an war ich hellwach – immer noch ein Kind, aber eines, dessen Kindheit vorbei war. Ich bin solchen Kindern nach 2004 in Gaza zu Hunderten begegnet: Als Zehnjährige reden sie bereits wie erwachsene Männer. Ein solches Kind registriert viel genauer als jedes andere Kind, was in seiner Umgebung vorgeht, weil das geringfügigste Vorkommnis als Anzeichen eines Unheils ernst genommen zu werden verdient. Es lauscht und horcht darauf, worüber sich die Älteren unterhalten, es verfolgt ihre Gespräche mit ängstlich gespitzten Ohren, immer darauf gefasst, aus der belanglosesten Bemerkung Anhaltspunkte für eine Bedrohung herauszuhören.
    Von nun an entging mir nichts mehr. Den Rest des Jahres 1948 verbrachte ich in einer Art Alarmzustand, und auch den im Spätherbst gefassten Beschluss, alles aufzugeben und fortzugehen, bekam ich mit, bevor es dazu kam.

Die Vertreibung
    Es hieß, unser Onkel sei als Märtyrer gestorben, als Held. Das war ein Trost für uns, auch für mich, und umso glaubhafter, als eine große Menschenmenge seinem Sarg auf dem Weg zum Friedhof durch die Straßen von Gaza gefolgt war. Der Gedanke an ihn wurde indes bald von anderen Schreckensmeldungen verdrängt. Mal hieß es, nach dem Überfall auf ein Dorf seien soundso viele Araber ums Leben gekommen, dann wieder, es habe Tote unter den Zionisten gegeben. In den folgenden Monaten beherrschten jedenfalls die Nachrichten von Attentaten, Überfällen und Massakern das Tagesgespräch der Erwachsenen. Die ethnischen Säuberungen des Jahres 1948 waren in vollem Gang, wenn auch nicht in unserer Region, weil es im Süden Palästinas nur vereinzelte jüdische Siedlungen gab, wohl aber weiter nördlich, auf jenem Territorium, das nach dem Willen der Zionisten das künftige Staatsgebiet Israels ausmachen sollte. Und diese Säuberungen erfolgten nicht spontan, aus der Aufwallung irgendeines Volkszorns heraus, sondern nach Plan, sorgfältig vorbereitet und systematisch. Was in jenem Jahr geschah, ist heute kein Geheimnis mehr, auch israelische Journalisten und Schriftsteller haben viel zur Aufklärung der damaligen Vorkommnisse beigetragen, ich will mich daher auf eine kurze Zusammenfassung der politischen Entwicklung beschränken, soweit sie uns Palästinenser betraf.
    Die heftigste Erschütterung löste das Massaker von Deir Yassin unter der alteingesessenen arabischen Bevölkerung Palästinas aus. Das Dorf im Westen Jerusalems wurde am
9. April 1948, also gut einen Monat vor der Staatsgründung

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