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Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Titel: Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdallah Frangi
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und lief dann eine Weile nebenher.
    Bei Sonnenaufgang lagerten wir, um nicht entdeckt zu werden und den Tieren Ruhe zu gönnen, und stellten nun im Tageslicht fest, dass wir falsch gelaufen und zu weit nach Süden abgekommen waren. Unser Führer war ein erfahrener Mann, aber nachts gibt es in der Wüste keine Anhaltspunkte, und jetzt hatte es uns fast in den Sinai verschlagen. Als wir am Abend erneut aufbrachen, mussten wir also ein ganzes Stück zurücklaufen und bewegten uns parallel zur ägyptischen Grenze durch wüstenartiges Gelände nach Norden. Im Nachhinein erfuhren wir, dass in diesem Gebiet verstreute jüdische
Siedlungen lagen; ein glücklicher Zufall hatte uns in sicherer Entfernung an ihnen vorbeigeführt. Am folgenden Morgen erreichten wir die Grenze des Gazastreifens, wo Freunde uns erwarteten, und gegen Mittag schlugen wir sieben Kilometer südlich von Gaza-Stadt unsere Zelte in einem Flüchtlingslager auf. Ringsum erstreckten sich Orangenhaine.
    Erst jetzt brach meine Mutter in Tränen aus. Allen Aufregungen und Anstrengungen der letzten Tage hatte sie sich gewachsen gezeigt und die gesamte Strecke sogar zu Fuß bewältigt  – als Tochter von Beduinen war sie ausdauernd und kräftig –, aber in dieser Stunde ließ sie sich von ihren Gefühlen überwältigen und weinte hemmungslos, laut klagend. Auch meine Großmutter sah ich an diesem Tag zum ersten und einzigen Mal weinen, aber sie vergoss ihre Tränen still für sich; nicht einmal hier verlor sie ihre Selbstbeherrschung.
    Das Leben wurde ein anderes, und ich wurde ein anderer. Wer in diesen Monaten nach Gaza kam, fand sich in einem Käfig wieder, 40 Kilometer lang, 10 Kilometer schmal und vollgestopft mit Flüchtlingen – damals schon eine der am dichtesten besiedelten Regionen der Erde. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East, UN-RWA) bemühte sich, dem Chaos entgegenzuwirken, registrierte die Ankömmlinge, verteilte Milch, Lebertran, Kleidung, organisierte den Schulbetrieb. Und ich entdeckte in diesem Durcheinander die Politik als Ersatz für die verlorene Weite der alten Heimat und das Gefühl der Freiheit, das damit verbunden gewesen war. Man könnte es als meinen Einstieg in die aktive Politik bezeichnen, dass ich als Zwölfjähriger konspirative Botengänge übernahm und Zettel mit geheimen Anweisungen überbrachte – im Auftrag einer Widerstandsorganisation, die aus meinem ältesten Bruder Mohammed sowie einer Handvoll seiner Freunde bestand und Kontakte zu einem Bauingenieurstudenten namens Yassir Arafat in Kairo unterhielt.
Vier Jahre später nahm mich diese Splittergruppe, die sich inzwischen den Namen Fatah gegeben hatte, als Mitglied auf. Damit gehörte ich als Sechzehnjähriger bereits einer regelrechten Untergrundorganisation an.
    Auf diese Art wuchs ich zwangsläufig in eine Art Doppelleben hinein, denn das Familienleben der Frangis ging natürlich in Gaza weiter, und es nahm bald nach unserer Flucht schon fast wieder die alten Formen an. Mit anderen Worten: Nach einer kurzen Zwischenzeit ging es uns besser als den meisten.
    Mein Vater, der uns übrigens erst Tage später gefolgt war, war nach Ablauf eines Jahres des Lagerlebens überdrüssig und mietete eine Wohnung im Norden von Gaza-Stadt. Was den Grundbesitz und die Herden anging, hatten wir zwar alles verloren, doch mittellos waren wir nicht; schon im Flüchtlingslager genossen wir das Privileg, in eigenen Zelten zu wohnen. Fortan verfolgte mein Vater konsequent das Ziel, aus unserer neuen Situation das Beste zu machen. Anfang 1952 nahm er Kontakt zu den ägyptischen Behörden auf, erwirkte die nötige Lizenz und gründete mit einigen Freunden zusammen eine Baufirma, die ihren Hauptsitz in Kairo und ihr Einsatzgebiet vorwiegend im Sinai hatte. Von da an stürzte er sich in die Arbeit, war nur noch selten zu Hause und überwachte selbst in der heißesten Jahreszeit den Bau von Straßen und Flugplätzen persönlich. Von jungen Jahren an daran gewöhnt, für eine große Zahl von Menschen Verantwortung zu tragen, hatte er jetzt nur noch eins im Sinn: den Seinen in den Wirren dieser Zeit eine gesicherte Existenz zu verschaffen – er entsagte dafür sogar dem Familienleben. Nicht nur uns ermöglichte er damit ein gutes und geregeltes Leben, auch viele unserer Verwandten und nicht wenige unserer Schicksalsgenossen, die bis dahin untätig in den Flüchtlingslagern herumgesessen hatten,

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