Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
Verbundenheit zu beseitigen, war durch einen seltsamen Zufall vereitelt worden. Es sollte wohl so sein. Wie verführerisch dieser Gedankengang für mich war, versteht man vielleicht besser, wenn man weiß, wie ich meinen Vater erlebt habe, nämlich als einen Menschen von unantastbarer Würde und Autorität, einer Welt zugehörig, die mittlerweile unwiderruflich versunken ist.
Dieser groß gewachsene, gut aussehende Mann, der sich zeitlebens in ein schlichtes, einfarbiges Gewand mit langen
Ärmeln kleidete, eine Art Tunika aus weißem, grauem oder hellblauem Stoff, der sich selbst ans Steuer eines Traktors setzte und familiären Umgang mit seinen Arbeitern pflegte, war anders als alle anderen, nämlich von einer bezwingenden, hoheitlichen Ausstrahlung. Zwischen ihm und dem Rest der Menschheit bestand ein gleichsam natürlicher Abstand, und dieser Distanz waren strikte Regeln angemessen, die wir Kinder im Umgang mit ihm einzuhalten hatten. So hätte niemand von uns gewagt, ihn zu rufen oder auch nur unvermittelt anzusprechen, nicht einmal meine Mutter – an ein vertrauliches »Hassan, hör mal!« war nicht zu denken –, vielmehr näherten wir uns ihm schweigend und redeten erst, wenn er uns durch ein Nicken oder einen Blick dazu aufforderte. Sprach er selbst, dann mit erhobenem Kopf. Widerspruch duldete er nicht, und die einzige Möglichkeit, ihn umzustimmen, bestand darin, seine Mutter, jene majestätische Großmutter, einzuschalten, weil sie der einzige Mensch war, auf den er hörte – ein entschiedenes »Hassan, mach das!« ließ er sich von ihr durchaus gefallen. Für einen modernen Menschen der westlichen Welt dürfte es kaum begreiflich sein, dass Kinder unter einer solchen Vatergestalt nicht leiden und seelischen Schaden nehmen. Aber das Gegenteil war der Fall. Weit davon entfernt, uns einzuschüchtern, steigerte die Unnahbarkeit meines Vaters das Bewusstsein unserer eigenen Bedeutung. Widersprochen habe ich ihm nie, zu keiner Zeit seines Lebens.
Die Prügelstrafe war bei uns unbekannt, geschlagen wurde nicht, dazu ließ sich mein Vater nicht herab, aber Strenge war selbstverständlich, und mit besonderer Strenge hielt er uns dazu an, die Gebote der Religion zu befolgen, die er seinerseits sehr ernst nahm. Beim ersten Gebet des Tages morgens gegen halb fünf durfte keiner von uns fehlen; wir reihten uns dann hinter ihm auf, und er vertrat die Stelle des Imams, er war unser Vorbeter. In den Pausen zwischen den Gebeten las
er aus dem Koran mit einer schönen, melodischen Stimme, die mir unter die Haut ging. Bei der Bevölkerung Beerschevas stand mein Vater im Ruf eines Wohltäters. Beerscheva war damals nicht sehr groß, man kannte einander, man wusste, wer in Not geraten war, und mein Vater ließ Bedürftigen regelmäßig Geld zukommen. Diese Gewohnheit behielt er bis zum Ende seines Lebens bei. Später, in Gaza, war es an mir, mit einer Liste der Namen armer Familien und einem Geldbetrag für jede auf meinem Fahrrad loszufahren und zu verteilen, was mein Vater jedem Empfänger zugedacht hatte, wobei er großen Wert auf Diskretion legte. Was deine rechte Hand gibt, darf deine linke nicht wissen, schärfte er mir ein.
Ebenso wie den Koran kannte er die Gesetzestexte, die er als Schlichter anwenden musste. Als höchste Autorität der Stammes bekam er es ja nicht nur mit harmlosen Fällen zu tun – auch wenn der Frieden massiv gestört und Blut geflossen war, wurde er geholt und arbeitete dann in separaten Verhandlungen mit jeder Partei eine Regelung aus, die den Umgang miteinander wieder ermöglichte und dem vorbeugte, was zweifellos die hässlichste Seite des beduinischen Lebens darstellte, die Blutrache. Seine Schiedssprüche waren in jedem Fall verbindlich. Ihnen zuwiderzuhandeln kam in jenen Tagen für niemanden in Betracht.
Wenn es darum ging, sich ein genaueres Bild von meinem Vater zu machen, waren wir Kinder allerdings auf die Mitteilungsfreude Dritter angewiesen, da er selbst die Geselligkeit nie so weit trieb, uns oder irgendjemanden sonst mit Erzählungen aus seinem Leben zu unterhalten. Es begeisterte uns daher umso mehr, wenn die Männerrunden in den Zelten von ihm in den höchsten Tönen redeten, von seiner Entschlossenheit, seiner Furchtlosigkeit im Gefecht, seiner Mannhaftigkeit beim Ertragen der Schmerzen nach der Verwundung. Es hatten sich damals viele aus unserem Stamm dem Kampf gegen die britischen Kolonialherren und zionistischen Untergrundorganisationen
angeschlossen, und diese
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