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Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Titel: Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdallah Frangi
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Leute auf Frieden und eine diplomatische Vorgehensweise einzuschwören. Arafat unterbrach ihn. Der Mann war aber nicht zu beirren, woraufhin einige Sicherheitsoffiziere Anstalten machten, ihn vor die Tür zu setzen. Es
kam Unruhe auf – hinderte man uns etwa daran, frei zu reden? Im nächsten Moment schritt Arafat ein und warf seine eigenen Sicherheitsleute hinaus. Damit waren die Sympathien wieder auf seiner Seite, und nun redete er weiter, griff den Vorfall auf und machte den Frieden innerhalb der Bewegung zu seinem Thema. Er appellierte an die Versöhnungsbereitschaft jedes Einzelnen, rief zur Einigkeit auf, erinnerte an das ungeschriebene Gesetz der Fatah, Kontroversen nie so weit zu treiben, bis es zur Spaltung kommt. »Wir sind Brüder!«, rief er aus, holte die nach draußen verbannten Sicherheitsleute in den Saal zurück und wies sie in scharfem Ton an, sich bei Meinungsverschiedenheiten künftig herauszuhalten.
    Es war eine Herkulesaufgabe, vor der Arafat an diesem Tag stand, die sich ihm auch weiterhin stellte, denn der nun eingeschlagene Weg verlangte von ihm, Menschen für eine friedliche Politik und wirtschaftliche Anstrengungen zu gewinnen, die siebenundzwanzig Jahre unter israelischer Besatzung gelebt und gelitten hatten. Er selbst war frei von Verbitterung, umso tiefer saß sie in den Herzen des palästinensischen Volkes. Doch wenn einer sich darauf verstand, Menschen so anzusprechen, dass sie ihren inneren Widerstand aufgaben und ihm folgten, dann Arafat. Ohne ihn wäre die Umstellung der palästinensischen Politik vom militärischen Widerstand auf eine konstruktive Politik wahrscheinlich gescheitert.
    Bei aller Liebe zu Deutschland – ich empfand meine Rückkehr nach Gaza als eine Heimkehr. Bald nach meiner Ankunft suchte ich den Orangenhain auf, den mein Vater 1956 gekauft hatte. Er gehörte immer noch meiner Familie. An seinem östlichen Rand steigt das Grundstück an, und von dieser Anhöhe aus ist in der Ferne das Mittelmeer zu sehen. Da oben habe ich in den nächsten Wochen oft gesessen. Es gibt alle Sorten von Apfelsinen, Zitronen und Clementinen dort, die man nur von den Bäumen zu pflücken braucht, und zwischen den Orangenbäumen war es herrlich kühl, unablässig wehte eine
frische Brise vom Meer herüber. Am äußersten Rand, zur israelischen Grenze hin, standen mächtige Zedern, die den kleineren Orangenbäumen Schatten spendeten; mein Vater hatte sie gepflanzt. Bei einem ihrer letzten Angriffe 2009 sind israelische Soldaten mit Bulldozern gekommen und haben diese Zedern umgerissen, eine nach der anderen. Warum? Weil sie ihnen zu nahe an der Grenze standen, weil sie befürchteten, Terroristen könnten sich in ihrem Schatten verstecken, weil … ach, die Israelis brauchen eigentlich keinen Grund.
    Das Haus, das mein Vater gebaut hatte, stand noch; ein Monument der Unverwüstlichkeit aus dem Geist eines Mannes, der in endlosen Generationenfolgen dachte. In den nächsten Jahren stockten wir es um vier Etagen auf – die zweite baute mein Bruder Mohammed, die dritte ich, die vierte der Sohn meines jüngeren Bruders Abdel Samia. Und mit der fünften und letzten erfüllte ich mir den Wunsch, ein Penthouse mit geräumiger Küche und weitläufigem Salon zu haben, in dem man leicht sechzig, siebzig Leute bewirten kann. Benita reiste an, blieb für ein paar Wochen, und wir träumten von einem Leben, das sich zwischen den beiden Polen Gaza und Meckenheim abspielen würde – zumindest für mich, der ich an das Hin- und Herreisen gewöhnt war, hätte es keine große Umstellung bedeutet.
    Damals, im Juli 1994, stand jedenfalls für mich fest: Ich würde in Gaza bleiben. Gleich nach Arafats großer Rede hatte ich mich an der Vorbereitung der ersten Konferenz der Fatah beteiligt und war überzeugt, Arafat mit meiner Erfahrung auf dem Gebiet der Organisation beim Aufbau solider, demokratischer Strukturen von Nutzen sein zu können. Hatte ich nicht all die Jahre auch für meine eigene Rückkehr gekämpft? Ich war immer noch Palästinenser – die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen habe ich nie in Erwägung gezogen. Ich hatte lange genug in Deutschland gelebt, jetzt waren wir fast am Ziel, und ich wollte beim Zieleinlauf dabei sein.

    Anfang September rief Arafat mich spätabends noch in sein Büro, das, direkt am Strand gelegen, tagsüber den Blick aufs Mittelmeer freigab. Unser Gespräch zog sich bis 2 Uhr morgens hin. »Ich brauche dich in Deutschland«, sagte er, »nicht hier.«

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