Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
ein Geschenk für das palästinensische Volk, ließ Kohl seinen Gast wissen, einen Krankenwagen für Notoperationen, sozusagen einen Operationssaal auf Rädern. Arafat bedankte sich höflich, fragte aber sogleich, ob er einen zweiten Krankenwagen dieser Art für Gaza haben könne – Arafat war in dieser Hinsicht gänzlich unbefangen, geriet indes bei Kohl an den Falschen. »Ich bin nicht der Weihnachtsmann«, entgegnete er trocken. Der marokkanische Dolmetscher zögerte einen Augenblick, warf mir einen fragenden Blick zu und fand dann eine weniger schroffe Formulierung für Kohls Ablehnung. Ansonsten verlief das Gespräch freundlich, man sprach hauptsächlich über den Iran, Kohl hatte viele Fragen dazu. Dennoch wirkte der deutsche Kanzler reserviert, als könne er seinen Gast nicht richtig einordnen, doch Arafat, der für Stimmungen sehr sensibel war, übersah Kohls Befangenheit. Immerhin vermied Kohl weitere Formfehler und verabschiedete seinen Gast nach der veranschlagten Stunde höflich an der Tür des Kanzleramts.
Auf der kurzen Fahrt zum Hubschrauber, der ihn nach Bad Godesberg bringen sollte, zückte Arafat Stift und Notizblock und schaute mich an. Er hatte die Gewohnheit, sich ständig Notizen zu machen – »Schlechte Tinte auf Papier ist immer noch besser als jedes Gedächtnis«, pflegte er zu sagen. »Was hat Herr Kohl gesagt?« Ich wusste, was er meinte. »Das war unwichtig«, wiegelte ich ab.«Was … hat … Kohl … gesagt?« Ich sagte es ihm. Arafat notierte sich Kohls Antwort – und kam nie mehr darauf zurück.
Zweitausend Menschen füllten die Godesberger Stadthalle. Wer einen Sitzplatz gefunden hatte, konnte sich glücklich schätzen – noch einmal ebenso viele mussten stehen. An diesem Abend ließen sich keine Regierungsmitglieder sehen, aber
ein Großteil des Auswärtigen Amts war gekommen, und auch Kinkels Vorgänger Genscher saß im Publikum. Da zahlreiche Palästinenser erschienen waren, herrschte eine fast ausgelassene Stimmung, und Arafat fühlte sich wie auf einem fliegenden Teppich.
Er sprach, wie üblich frei, und ich übersetzte. Er hatte mich darum gebeten, weil ich ihn kannte, ihm jede Nuance einer Aussage vom Gesicht ablesen konnte und weil ich wusste, welche Klippen es gegebenenfalls zu umschiffen galt. Dieser deutsche General des 19. Jahrhunderts zum Beispiel … der Satz, mit dem Arafat ihn zitierte, war an sich unverfänglich, aber ich kannte ja die Deutschen – nur nichts Militärisches! –, und beschloss, den »General« vorsichtshalber durch einen »bekannten deutschen Politiker« zu ersetzen. Arafat merkte das und erntete ein großes Lachen, als er sich daraufhin grinsend ans Publikum wandte, auf mich zeigte und sagte: »Er übersetzt falsch! Das war nicht korrrekt!«
Im weiteren Verlauf seiner Rede sprach er von seinem Stolz auf die palästinensischen Frauen, die sich am Widerstand beteiligt hatten, die auch ohne ihre Männer, die im Gefängnis saßen, die tausendfachen Schwierigkeiten des Alltags unter israelischer Besatzung gemeistert hatten, die in vielen Fällen sogar der PLO angehörten … und krönte seine Hymne auf die palästinensische Frau mit einem Zitat des großen Dichters Mahmud Darwisch: »Die Frau ist die Wächterin des heiligen Feuers.« Wieder so ein Fall, dachte ich. In dem Gedicht von Darwisch klang dieser Satz schön, doch in einer Rede vor einem deutschen Publikum ergab er nicht den gewünschten Sinn. »Das werde ich nicht mehr übersetzen«, sagte ich zum Publikum gewandt. Der Saal lachte, und Arafat warf mir einen milde strafenden Blick zu, wohl wissend, dass er sich auf diesem für ihn fremden Parkett auf mich verlassen konnte. Und so hielten wir es in diesen beiden Tagen grundsätzlich: Wann immer er auf etwas hinauswollte, das seine deutschen
Zuhörer missverstehen könnten, raunte ich ihm eine kurze Warnung zu, und er schwenkte sofort um.
Alles in allem hatte Arafat aber wieder einmal bewiesen, dass er auch ein fremdes Publikum für sich einzunehmen verstand, und all jene, die früher einen Bogen um ihn gemacht hatten, zeigten sich nun, da sie ihn zum ersten Mal persönlich erlebten, durchweg beeindruckt. Wir waren daher bester Laune, als wir die Stadthalle verließen, und eine große Gesellschaft folgte meiner Einladung nach Meckenheim, wo Benita schon alles vorbereitet hatte.
Wir waren ja an lange Gästelisten gewöhnt, wir hatten in Meckenheim immer ein offenes Haus, und Benita war ohnehin die beste Gastgeberin, die man sich
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