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Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Titel: Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdallah Frangi
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vorstellen konnte. Jetzt teilte sie sich diese Rolle mit ihm; Arafat ließ es sich nämlich nicht nehmen, während des Essens selbst die Schüsseln aufzutragen, den Lachs zu servieren, von einem zum anderen zu gehen, einige Worte mit Johannes Rau oder mit Hans-Dietrich Genscher zu wechseln, sich wie mein Vater früher um jeden Einzelnen am Tisch zu kümmern und mir das Zeichen zu geben, Wein nachzuschenken, sobald er ein leeres Glas entdeckte. Er selbst rührte nie einen Tropfen Alkohol an, doch durfte in seiner Anwesenheit getrunken werden. Er selbst war ja ein geradezu begnadeter Gastgeber, aufgrund seiner Großzügigkeit, aber auch aufgrund seiner großen Begabung als Unterhalter.
    Seine Fähigkeiten als Erzähler wurden, wenn er sich auf Englisch verständigen musste, nur durch einen brutalen ägyptischen Akzent geschmälert, der ihn für seinen Gesprächspartner indes nicht unsympathischer machte (er war ja in Ägypten aufgewachsen und hatte dort auch studiert). Leider stieß er im Englischen gelegentlich an seine Grenzen, sodass ich einspringen und aus dem Arabischen übersetzen musste, was in der Regel dann der Fall war, wenn er einen Witz erzählen oder besonders charmant sein wollte. Dennoch stand
Arafat, an diesem ersten wie an allen weiteren Abenden bei uns, natürlich unangefochten im Mittelpunkt – seine Lebensgeschichte und seine Ausstrahlung machten ihn eigentlich in jeder Gesellschaft zur herausragenden Figur.
    Am folgenden Tag ging es ohne Pause von einem Termin zum anderen. Auf das Frühstück mit Entwicklungshilfeminister Carl-Dieter Spranger folgte ein Gespräch mit Vertretern der deutschen Wirtschaft, dann ein Empfang bei der Deutsch-Arabischen-Gesellschaft durch Jürgen Möllemann, anschließend eine Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, die Bundespressekonferenz im Hotel Tulpenfeld und ein Besuch bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, dem sich ein großes Abendessen anschloss, sodass es 22 Uhr wurde, bevor Arafat seinen Rückflug antrat.
    Mit Genugtuung zogen wir nach diesem ersten Staatsbesuch Bilanz. Zu jeder öffentlichen Veranstaltung hatten sich Hunderte eingefunden, viele junge Deutsche darunter, der Saal der Friedrich-Ebert-Stiftung war brechend voll gewesen, und auch die Vertreter der Wirtschaft hatte Arafat für sich einzunehmen gewusst, indem er immer wieder den Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Aufbau und Frieden herausstellte. Etwas salopp formuliert könnte man sagen: Arafat hatte nun seine Affäre mit den Deutschen – und die Deutschen ihre Affäre mit ihm. Bezeichnend war für mich ein Bild, das sich uns wenige Monate später vom Hubschrauber aus bot: Die Begegnung mit den Wirtschaftsvertretern hatte Arafat eine Einladung des Autobauers Daimler-Benz nach Stuttgart eingetragen, die ihn schon im Mai des folgenden Jahres wieder nach Deutschland führte, und beim Anflug auf das Mercedes-Werksgelände sahen wir kaum ein Fenster, an dem nicht winkende Menschen gestanden hätten. Wie aus dem Gedächtnis gelöscht schien der Terrorist, der hässliche Palästinenser, der einmal die Vorstellung der Deutschen beherrscht hatte. Der ganze Besuch war in einer nahezu familiären
Atmosphäre verlaufen, und die Presse hatte ihn mit Wohlwollen, ohne gehässigen Unterton, kommentiert.
    Arafat seinerseits hatte diese beiden Tage genossen. Er hegte ohnehin eine Vorliebe für Deutschland, das ihm seit jeher als bewundertes Vorbild vor Augen stand, wegen des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem, nicht zuletzt aber auch wegen des Aufbaus Ost. Jetzt, nach diesem Empfang, rechnete er fest mit deutscher Hilfe und wurde nicht enttäuscht.

»Ich brauche dich in Deutschland«
    Mit dem Oslo-Abkommen hatte sich Israel verpflichtet, als ersten Schritt den Gazastreifen und die Stadt Jericho im Westjordanland zu räumen und beide Gebiete der PLO zu übergeben. In absehbarer Zeit würde Arafat dort einziehen, und ich hatte ihn gleich nach der Abstimmung im Zentralkomitee wissen lassen, dass ich Wert darauf legte, ihn auf seiner Reise nach Palästina zu begleiten. Ich war im Gazastreifen aufgewachsen, hatte die Orte meiner Jugend, das Haus meines Vaters und den Orangenhain unserer Familie seit dem Sechstagekrieg 1967 nicht mehr betreten dürfen und konnte kaum erwarten, an der Seite Arafats zurückzukehren.
    Eines Nachts rief mich ein Freund aus Tunis in Meckenheim an. »Abu Amar macht sich gerade auf den Weg nach Gaza.« Es war halb 3 Uhr morgens. Ich wählte sofort Arafats

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