Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
Anschläge, auch auf Zivilisten. Arafat versuchte von Ramallah aus, mäßigend auf diese Jugendlichen einzuwirken, war damit aber nicht sonderlich erfolgreich, schon weil die Israelis ihn nicht mehr nach Gaza ließen. Er bewegte sich ja mit dem Hubschrauber zwischen Gaza und dem Westjordanland, und Israel verweigerte ihm die Fluggenehmigung, sodass er schon vor seiner Belagerung in Ramallah festsaß, der Stadt, die mittlerweile als heimliche Hauptstadt Palästinas galt. Es kam zu Selbstmordattentaten in Israel, überwiegend von Hamas-Mitgliedern verübt, aber auch unsere Al-Aksa-Brigaden drangen nachts auf israelisches Gebiet vor und griffen israelische Soldaten und Zivilisten an.
Gleichzeitig flogen die Israelis Luftangriffe. Jenin im Westjordanland wurde fast vollständig zerbombt, Ramallah wurde unter Beschuss genommen, und im Gazastreifen machten sich die Israelis an die gezielte Zerstörung sämtlicher Fatah-Einrichtungen. Alles, was wir bis 2000 aufgebaut hatten, wurde systematisch bombardiert: Straßen, Brücken, Polizeistationen, die Bürogebäude der Selbstverwaltung. Der Plan dahinter war, den Palästinensern durch militärische Gewalt zu nehmen, was sie durch Verhandlungen seit 1993 erreicht hatten. »Wehrt euch!«, riefen sie uns zu, »damit wir euch die Schuld an eurem Schicksal geben können.« Seit Rabins Tod war diese Logik zur Grundlage der israelischen Politik geworden.
Mit Raketen machten sie Arafats Residenz dem Erdboden gleich, aus der Luft griffen sie den Hafen von Gaza an. Es war
ein primitiver Hafen, nicht viel mehr als eine Mole aus dem Schutt abgerissener Häuser, aber er konnte wenigstens Fischerbooten Schutz bieten. In meiner Jugendzeit lagen die Frachter einen Kilometer weit draußen auf Reede, und die Waren wurden in kleinen Booten an Land gebracht. Mit meinem Freund Mahmud Ayyad war ich damals oft bis zu einem dieser Schiffe hinausgeschwommen, dann hatte uns die Mannschaft mit der Ladevorrichtung hochgezogen, und wir waren von Deck ins Meer gesprungen. Dieser kleine Hafen wurde gleich zu Beginn der Zweiten Intifada zerstört, und danach nahm sich die israelische Luftwaffe unseren Flughafen vor.
Dieser Flughafen war der Stolz Arafats und jedes Palästinensers. Endlich brauchten wir nicht mehr von Tel Aviv aus zu fliegen! Marokkanische Arbeiter hatten im Flughafengebäude ein Mosaik angelegt, ein Geschenk Marokkos an Arafat und das palästinensische Volk, und Martin Kobler, der Chef der deutschen Vertretung, hatte durch seinen persönlichen Einsatz den Bau dieses Flughafens immer wieder vorangetrieben. 2002 wurde dieser Flughafen durch Luftangriffe zerstört; anschließend ließ Scharon Bagger und Bulldozer auffahren, die nicht nur das Flughafengebäude vollständig abrissen, sondern sogar den Asphalt der Zufahrtsstraßen wegschaufelten.
Sieben Jahre hatte der Flughafen von Rafah Bestand. Die Maschinen von Johannes Rau, Bill Clinton, Heidemarie Wieczorek-Zeul und Rudolf Scharping hatten ihn angeflogen, auch Karlheinz Kögel und ich waren dort gelandet. Heute ist er, wie die gesamte Infrastruktur von Gaza, eine Trümmerlandschaft. Wie hätten wir ihn wiederherstellen sollen, wenn es im Gazastreifen mehr als zwanzigtausend zerstörte Häuser gibt? Keines davon wurde wieder aufgebaut, weil Israel bis heute die Einfuhr von Eisen und Zement verbietet. Gaza leidet und leidet, bis heute.
Alles in allem belief sich der Schaden dieser Zerstörungsorgie auf 10 Milliarden Dollar. Da das Geld hauptsächlich von den Geberländern stammte, hatten die Israelis also amerikanische und europäische Steuergelder vernichtet.
In dieser Situation ging der Stern von Ariel Scharon auf. Barak hinterließ einen Scherbenhaufen, bei der Wahl vom 6. Februar 2001 erhielt Scharon 64,2 Prozent der Stimmen. Ich hatte damit gerechnet. Die Entwicklung war folgerichtig. Als Minister hatte Scharon so lange Öl ins Feuer gegossen, bis die Sache explodierte, jetzt genoss er es, mit anzusehen, wie die Saat des Unfriedens aufging. In der Zeit der Apartheitspolitik war Scharon nach Südafrika gereist, um die Ghettoisierung der schwarzen Afrikaner zu studieren – sie erschien ihm nachahmenswert. Arafat wiederum war für Scharon nur eine lebende Zielscheibe. In Beirut hätte er den Abschied nehmenden Arafat noch im Hafen am liebsten durch einen Kopfschuss erledigen lassen – nur ein Machtwort von Ronald Reagan konnte ihn davon abhalten. Seine Anhänger bezeichneten ihn als »König Israels«, und als solcher imponierte
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