Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
suchte als Erstes das Hotel auf, in dem seine Begleiter abgestiegen waren. »Du kannst nicht zu ihm gehen«, hieß es dort. »Tu dir das nicht an.«
Ich nahm mir ein kleines Hotel in unmittelbarer Nähe des Krankenhauses, in dem Arafat lag. Wir waren übereingekommen, ihn nicht zu besuchen, aber unsere Botschafterin in Frankreich ging täglich zu ihm und hielt uns auf dem Laufenden. Einmal gelang es mir, bis zu seinem Zimmer auf der Intensivstation vorzudringen, doch im letzten Moment wurde ich von einem Arzt daran gehindert, einzutreten. Ich telefonierte mit Mahmud Abbas in Ramallah. Er war zwar noch nicht zum Vorsitzenden der PLO gewählt, aber de facto bereits an Arafats Stelle gerückt, und ich riet ihm, sofort nach Frankreich zu kommen.
Am 7. November traf er ein, und die palästinensische Delegation begab sich als Erstes ins französische Außenministerium, wo uns neben dem Außenminister auch Präsident Jacques Chirac und sein Ministerpräsident Jean-Pierre Raffarin erwarteten. Chirac, dem Arafats Schicksal besonders nahe zu gehen schien, griff die Spekulationen über eine Vergiftung Arafats auf und empfahl uns, bei den behandelnden Ärzten genauere Informationen einzuholen. Daraufhin trafen wir uns mit dem Ärzteteam des Militärkrankenhauses. Man erklärte uns, dass sich die Blutplättchen bei Arafat in einem raschen, unaufhaltsamen Auflösungsprozess befänden und nicht ersetzbar seien – die wahrscheinlichste Ursache dafür sei in den katastrophalen Lebensbedingungen zu suchen, die während der israelischen Belagerung in seinem Amtssitz geherrscht hatten. Sicherheitshalber aber seien Blutproben an neunzehn Labore in Frankreich geschickt worden. Die Untersuchungen hätten zu dem übereinstimmenden Ergebnis geführt, dass kein »uns bekanntes Gift« nachgewiesen werden könne – eine Formulierung, die die Möglichkeit einer Vergiftung mit einem unbekannten Gift nicht ausschloss.
Selbstverständlich hatten wir die Absicht, Arafat zu besuchen, unser Wunsch stieß bei seiner Frau Suha jedoch auf Widerstand. Vor allem zwischen Abbas und Suha herrschte seit jeher eine herzliche Abneigung, und wie viele Palästinenser fand auch Abu Mazen, dass Suha während der schweren Zeit seiner Gefangenschaft an die Seite ihres Mannes gehört hätte, nicht nach Paris. Suha behielt sich jetzt jedenfalls das Recht vor, Besucher nach Gutdünken zuzulassen oder abzuweisen, und Abbas war derjenige, den sie am Krankenbett ihres Mannes auf keinen Fall sehen wollte. Schließlich erreichten wir einen Kompromiss: Einer von uns, Abu Ala, solle zu Arafat gehen und danach entscheiden, ob ein gemeinsamer Besuch sinnvoll sei. Abu Ala begab sich also in den Raum, in dem Arafat lag, und als er wieder herauskam, war er kreidebleich,
so als würde kein Tropfen Blut mehr in seinen Adern fließen. »Ich empfehle keinem, dort hineinzugehen«, sagte er. »Der Mensch, den ich gesehen habe, war nicht Arafat.« Offenbar stand Abu Ala unter Schock.
Das war drei Tage, bevor Arafat starb.
In den frühen Morgenstunden des 11. November, kurz vor 4 Uhr, erreichte uns die Nachricht von seinem Tod. Ich hielt mich gerade im Krankenhaus auf, wir hatten damit gerechnet. Der Mufti, der die rituellen Waschungen an Arafats Leichnam vornehmen sollte, bot mir an, ihn zu begleiten, aber ich lehnte ab. Ich wartete, bis Arafat zum letzten Abschied aufgebahrt war.
Als ich den Raum betrat, umstanden schon seine Frau, unsere Botschafterin in Paris und andere den Toten. Eine palästinensische Flagge hüllte ihn ein, und was diese Fahne bedeckte war ein kleiner, zusammengeschrumpfter Körper, ein geradezu winziges Häufchen Haut und Knochen, ein erschütternd kläglicher Überrest des Menschen Yassir Arafat. Kurz nach mir trat Präsident Chirac ein. Unter Tränen sprach er mit erstickter Stimme den Toten an: »Es wäre mir lieber gewesen, Sie gesund in Ihre Heimat zurückschicken zu können …«
Kaum hatte ich den Raum verlassen, kam ein Reporter auf mich zu, und einem Reflex folgend, gab ich, gegen die Tränen ankämpfend, mein erstes und letztes Interview zu Arafats Tod. Danach schaltete ich mein Mobiltelefon aus und war für keinen Reporter mehr zu sprechen. Ich musste über den Tod des Menschen hinwegkommen, in dessen Schatten wir alle großgeworden waren, von dessen Siegeszuversicht wir alle gezehrt, von dessen Kompromissbereitschaft wir alle gelernt hatten und von dessen ehrlichem Willen, Frieden zu schließen, wir alle angesteckt waren.
Schüsse im
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