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Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Titel: Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdallah Frangi
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seinem Verhalten und Arafats Gastfreundschaft klar. Ich hatte die Absicht, ernsthaft mit ihm zu reden – was die Körpersprache über einen Menschen aussagt, vielleicht sogar, wie die
Macht einen Menschen verändern kann –, doch bevor es dazu kam, unterbrach er mich. »Lieber Abdallah, auch du hast dich verändert«, sagte er. »Früher hattest du volles Haar, und jetzt hast du fast eine Glatze.« Damit war das Gespräch beendet. Er wollte nicht darüber reden.
    Im Fernsehen hatte ich gesehen, wie er den israelischen Außenminister Scharon empfangen hatte – sehr freundlich, sehr zuvorkommend. Als deutscher Außenminister hatte Fischer die besten Beziehungen zu Israel entwickelt. Und 2003, als Arafat von den Israelis belagert wurde, drängte sich mir der Eindruck auf, dass der Palästinenser ihm mittlerweile peinlich war. Fischer wollte Karriere machen, was sollte ihm ein machtloser Arafat noch nützen? Er umgab sich ungern mit Verlierern.
    Gerhard Schröder war da ganz anders. Er mochte Arafat, und er zeigte es auch.
    Der Besuch des 71-jährigen Arafat in Berlin war sein letzter Auftritt in Deutschland. Im selben Jahr 2000 explodierte das nahöstliche Pulverfass.
    Am 28. September beging Scharon die größtmögliche Provokation: Von Polizisten und Soldaten geschützt, begab er sich auf den Tempelberg, um den jüdischen Besitzanspruch auf Ost-Jerusalem in einer spektakulären Aktion zu bekräftigen. Arafat und Abu Mazen hatten Ministerpräsident Barak vorher in seiner Privatwohnung aufgesucht und ihn beschworen, Scharon an seinem Vorhaben zu hindern – vergeblich. Die Palästinenser waren außer sich. Nicht nur, dass der Tempelberg mit dem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee das zweitgrößte Heiligtum der muslimischen Welt darstellt – die eigentliche Provokation bestand in der Person Scharons, der in den Augen der Palästinenser seit dem Libanonkrieg die Grausamkeit schlechthin verkörperte. Am folgenden Tag kam es in Jerusalem zu einer großen Demonstration, bei der ein Aufgebot von mehr als tausend israelischen Soldaten mit
Gummigeschossen gegen Steinewerfer vorging; unter den Palästinensern gab es sieben Tote und Hunderte von Verletzten. Das war der Auftakt zur Zweiten Intifada.
    Wie schon bei der Ersten Intifada war der Auslöser nicht der Grund. Wie hatte Ami Ayalon, der ehemalige Leiter des israelischen Inlandsgeheimdienstes, gesagt? »Der Tag eines Palästinensers, der zu seiner Arbeit will, ist ein Albtraum voller Demütigungen, an denen er schier verzweifelt.« Ayalon wird das nicht als Kritik gemeint haben, eher als Erfolgsmeldung, jedenfalls kann ich seine Einschätzung nur bestätigen. Die Checkpoints der Israelis bedeuteten für jeden Palästinenser die Erniedrigung schlechthin. Am Kontrollpunkt Abu Holi südlich von Gaza-Stadt habe ich einmal in glühender Hitze mit dem Auto für anderthalb Kilometer vier Stunden gebraucht, weil die Israelis die Fahrzeuge nur in großen Abständen durchließen. Am Haltepunkt saß ein junger israelischer Soldat mit Sonnenbrille und Zigarette im Mundwinkel lässig auf dem Turm seines Panzers und zeigte uns die Erlaubnis zur Weiterfahrt durch ein Wippen seines rechten Fußes an, und der Soldat am eigentlichen Checkpoint machte nichts anderes, als einen Blick auf das Gesicht des Fahrers zu werfen und ihn durchzuwinken. Für Menschen in zivilisierten Ländern ist es unvorstellbar, was wir an genüsslich ausgekosteter Macht erlebt haben, Macht über Leben und Tod. Gegenüber Palästinensern ist den Israelis alles erlaubt; die Grundregeln des menschlichen Umgangs, die selbst im Krieg noch gelten, sind außer Kraft gesetzt.
    Mit anderen Worten: Im Jahr 2000 waren wir wieder da angekommen, wo wir vor dem Oslo-Abkommen gestanden hatten. Die Israelis setzten die Enteignungen fort, riegelten weiterhin palästinensische Gebiete ab, schnitten Menschen von ihren Arbeitsstätten, Schulen und Krankenhäusern ab, und in den sieben Jahren seit 1993 hatten sich noch einmal ebenso viele jüdische Siedler im Westjordanland festgesetzt
wie in den sechsundzwanzig Jahren zuvor. Hoffnungslosigkeit verbreiten und dann bis zur Weißglut reizen – das war seit jeher die wirkungsvollste Waffe der Israelis. Scharon hatte genau gewusst, was er tat.
    Und jetzt hieß es Auge um Auge, Zahn um Zahn. Diesmal hielten die jungen Leute nicht geduldig ihre Knochen hin. Diesmal bewaffneteten sie sich und schlugen zurück. Die Fatah-Jugend organisierte sich in den Al-Aksa-Brigaden und verübte

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