Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Titel: Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdallah Frangi
Vom Netzwerk:
dreihundert und mehr Menschen konzipiert. Arafat selbst belegte dort nur drei Räume im zweiten Stock: Ein Zimmer diente ihm als Büro, eins als Gästezimmer und eins als Schlafzimmer. Nach einer langen Sitzung verbrachte er nicht selten die Nacht in diesem spartanisch eingerichteten Zimmer von etwa fünfundzwanzig Quadratmetern. Die meisten anderen Räume in der Mukata waren Büros, die nun in provisorische Quartiere für seine Begleiter, seine Schutztruppe und seine Mitarbeiter umgewandelt wurden. Außerdem hatten sich auch Journalisten mit Arafat zusammen einsperren lassen sowie Leute, die aus Solidarität mit ihm in der Mukata ausharrten, darunter viele Europäer, aber auch einige Israelis – menschliche Schutzschilde für den Fall, dass die Belagerer angreifen sollten.
    Zum ersten Mal in seinem Leben war Arafat mattgesetzt. Er konnte immer noch Interviews geben, aber es war ihm verwehrt zu reisen, und sein Einfluss auf den Gang der Dinge schwand. Wer erwartet hatte, dass er den Kampf jetzt aufgeben würde, sah sich allerdings getäuscht. Weil die Israelis den Strom abgeschaltet hatten, arbeitete Arafat bei Kerzenlicht; weil sie das Wasser abgedreht hatten, waren er und alle anderen auf Nachschub aus Kanistern und Flaschen angewiesen. Das Schlimmste aber war die verpestete Luft. Man stelle sich
vor: etwa 370 Menschen auf kleine Räume verteilt, ohne Klimaanlage, ohne Ventilatoren, ohne Wasser für die Toiletten, bei verschlossenen Fenstern, die zum Schutz gegen israelische Scharfschützen durch schusssichere Metallläden gesichert waren – Gestank und Hitze müssen entsetzlich gewesen sein. Irgendwann war es nötig, Sauerstoff in Sauerstoffflaschen herbeizuschaffen. Arafats tägliches Fitnesstrainig bestand darin, um einen Tisch herumzulaufen.
    Ich telefonierte oft mit Arafat und erfuhr so vom Leiden der Eingeschlossenen. Viel gab es nicht zu sagen, aber ich war froh, seine Stimme zu hören. In dieser Zeit musste ich unentwegt Interviews geben und merkte, dass die Freunde der Amerikaner sich die Hände rieben. Andere wiederum waren tief betroffen, und jene, die seine Gefangenschaft teilten, waren voller Bewunderung für ihn – Arafat lehnte jede Vorzugsbehandlung ab, rührte nichts an, bevor nicht der Letzte gegessen und getrunken hatte, und schlief wie alle anderen auf einer Matratze am Boden. Irgendwann bereiteten die Israelis einen Sturm auf die Mukata vor, vermutlich in der Absicht, Arafat doch zu liquidieren, und nun setzte eine regelrechte Völkerwanderung aus allen Teilen des Westjordanlands nach Ramallah ein. Zehntausende mischten sich unter die Panzer vor seinem Amtssitz und schlugen auf Kochtöpfen Krach, um die Weltöffentlichkeit wachzurütteln. Daraufhin sagten die Israelis ihren Sturmangriff ab. Gleichwohl stellt die Belagerung Arafats den Verantwortlichen in Israel das schlechteste Zeugnis aus. Die Demütigungen, denen sie Arafat aussetzten, sind nicht einmal unter Feinden üblich. Selbst im Krieg respektieren sich Feinde, die noch einen Rest von militärischem Ehrgefühl besitzen, und achten – egal, wie verbissen man kämpft – einander als ihresgleichen. Die Israelis aber peinigten Wehrlose, als gehörten diese Menschen einer minderwertigen Rasse an.
    Nach drei Jahren, am 24. Oktober 2004, hoben sie ihre Belagerung
auf. Sie hatten alle Ziele erreicht. Das Land lag in Trümmern, Ramallah glich einer Ruinenlandschaft, die Mukata war zu großen Teilen gesprengt und Arafat nur noch ein Schatten seiner selbst. Sein Gesundheitszustand hatte sich dermaßen verschlechtert, dass Amerikaner, Israelis und Franzosen übereingekommen waren, ihn zur Behandlung nach Paris auszufliegen. Als ich an diesem Tag die Fernsehbilder sah, erkannte ich Arafat nicht wieder – der Mann, der da auf Freunde gestützt seinen zerbombten Amtssitz verließ, war ein gespenstisch anmutender Greis, der mit müdem Arm noch einmal das Victory-Zeichen zu machen versuchte. Ich konnte nicht hinschauen, mir stiegen Tränen in die Augen. Und selbst als Todkranker erregte Arafat noch die Mordlust Scharons: George W. Bushs Aufforderung, Arafat unbehelligt ausfliegen zu lassen, da dessen Schicksal nun in Gottes Hand liege, konterte Scharon mit der Bemerkung, man könne dem lieben Gott ja auch nachhelfen.
    Eine französische Militärmaschine brachte Arafat nach Paris, wo er in das Militärkrankenhaus im Pariser Stadtteil Bercy eingeliefert wurde. Nur Stunden später fuhr ich mit dem Wagen in die französische Hauptstadt und

Weitere Kostenlose Bücher