Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
Berlin erwartete mich. Ich war wieder im Einsatz.
Nach beinahe drei Jahrzehnten in Bonn verlangte mir Berlin eine beträchtliche Umstellung ab. In Bonn konnte ich an einem einzigen Tag fünf, sechs oder auch zehn Termine wahrnehmen, und wenn es an einem Abend zwei Empfänge gab, war es möglich, an beiden nacheinander teilzunehmen. In Berlin ging das nicht, weil die Entfernungen zu groß sind. Ich hatte dort auch kein richtiges Heim, ich wohnte in einem Appartement in der Chausseestraße neben meinem Büro, und dieses Büro war auch kein Schmuckstück. Es war schwierig, sich unter diesen Umständen vernünftig zu präsentieren. In
Berlin konnte ich keine Essenseinladungen mehr geben. Sechzig, siebzig Leute bei mir zu Hause? In Berlin war nicht daran zu denken. Und solche Abendeinladungen sind etwas anderes, als wenn man sich mit einem Journalisten auf einen Cappucino in einem Restaurant trifft.
Aber ich war mir bewusst, dass sich die Deutschen nicht länger mit Bonn zufriedengeben konnten. Sie brauchten eine Stadt, die mit London und Paris mithalten kann. Auch die Hinwendung zum Osten war für Deutschland wichtig. Letztlich versöhnen einen dann das Flair von Berlin und die schiere Größe der Stadt. Davon abgesehen ist Berlin eine Hochburg der Palästinenser: 25 000 waren es damals, heute dürften es an die 30 000 sein. Wenn wir in Bonn einen palästinensischen Abend veranstalteten, mussten wir auch alle anderen Araber einladen, damit sich der Saal füllte. In Berlin hatten wir diese Sorge nicht. Wir brauchten auch keine Folkloregruppe aus Damaskus oder Beirut einfliegen zu lassen, weil die Berliner Palästinenser ihre eigenen Musik- und Tanzgruppen hatten.
Als Arafat im Jahr 2000 zu seinem letzten Deutschlandbesuch nach Berlin kam, erwartete ihn dort eine rot-grüne Regierung, die ihn mit allen militärischen Ehren empfing, und eine Bevölkerung, die ihn belagerte, wo immer er sich sehen ließ – Arafat brachte nicht weniger Leute auf die Straße als der US-Präsident Bill Clinton, der kurz zuvor Berlin besucht hatte. Mit Gerhard Schröder als Bundeskanzler und Joschka Fischer als Außenminister hätte ihm eigentlich größeres Wohlwollen denn je entgegenschlagen müssen, schließlich kannte und schätzte man sich seit Langem, und Schröder behandelte Arafat auch wie einen alten Freund. Eine Überraschung hingegen erlebten wir mit Joschka Fischer.
Ich wusste, dass er jetzt staatsmännisch auftrat, mit Anzug und Weste. Doch die Veränderungen beschränkten sich nicht auf sein Erscheinungsbild … Klaus Kinkel und Helmut Kohl hatten Arafat vor ihrem Amtssitz begrüßt und beim Abschied
bis zum Auto begleitet. Auch der amtierende Bundeskanzler Schröder nahm Arafat am Eingang des Kanzleramts in Empfang und verabschiedete sich erst am Auto von ihm. Joschka Fischer hingegen ließ Arafat zu sich hochkommen und erwartete ihn wie ein Großfürst oben vor seinem Büro. Schon dieser Byzantinismus verstimmte Arafat. Dann hielt ihm Fischer seine Hand zur Begrüßung an einem ausgestreckten, steifen Arm entgegen – die zweite Brüskierung. Und während des Gesprächs flegelte sich Fischer in seinem Sessel, lag mehr als er saß mit lässig übereinandergeschlagenen Beinen und gab das Bild eines Menschen ab, der sich mühsam einige Aufmerksamkeit für seinen Gast abringt. In Arafats Delegation wurde getuschelt und von »Überheblichkeit« gesprochen. Arafat selbst hingegen ließ sich, wie üblich, nichts anmerken und brachte seine murrenden Begleiter mit einem Wink zum Schweigen.
Ich musste an Fischers ersten Besuch als Außenminister in Palästina denken. Wie zuvorkommend hatte Arafat ihn damals empfangen! Nach dem Gespräch war Fischer eingeladen gewesen, in unserem Gästehaus zu übernachten, der ehemaligen Residenz des ägyptischen Gouverneurs von Gaza, wunderschön gelegen über einem Tal mit Blick aufs Meer. Arafat war, von Fischers Auto gefolgt, persönlich vorausgefahren, hatte den deutschen Außenminister selbst durch die verschiedenen Räume des Gästehauses geführt und ihm zum Abschied eine gute Nacht gewünscht. »Er ist mein Gast«, sagte Arafat, als ich ihm anschließend meine Bewunderung für seine Souveränität gestand. »Mehr gibt es nicht zu sagen.«
Auf dem Rückflug saß ich Joschka Fischer in seinem Jet gegenüber. Ich musste mit ihm sprechen. »Lieber Joschka«, sagte ich, »du hast dich verändert.« – »Inwiefern?«, wollte er wissen. Ich machte ihm geduldig den Unterschied zwischen
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