Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
des Arztes reizte – schon des Ansehens wegen, den er in der arabischen Gesellschaft genoss –, nahm Amin in Frankfurt die Sache für mich in die Hand und besorgte mir einen Studienplatz für Medizin.
Mohammed unterstützte meinen Plan, aber mein Vater war dagegen. Er brachte das Thema selbst auf. »Hast du deine Unterlagen an der Universität in Kairo eingereicht?«, fragte er mich eines Tages. Ich zögerte. Ich wolle auf eine Offiziersschule
gehen, sagte ich. »Mit deinem Finger nehmen sie dich nicht«, meinte er. »Gut«, erwiderte ich, »dann möchte ich nach Deutschland. Amin ist auch schon da.« – »Auf keinen Fall«, entgegnete er. Wie üblich war nicht mit ihm zu diskutieren. Er blieb bei seinem Nein, und auch Mohammed war machtlos dagegen.
Abu Dschihad wusste ich ebenfalls auf meiner Seite. Vor Jahren hatte er selbst einmal überlegt, nach Deutschland zu gehen, hatte in Kairo sogar einen Deutschkurs belegt und verwendete seine Überredungskunst nun darauf, meinen Vater umzustimmen. Mit einem gewissen Erfolg, denn mein Vater gab seine strikte Ablehnung auf. Um seine letzten Bedenken zu zerstreuen, griff ich zu einer List. Ich wusste, dass mein Vater große Stücke auf Amin hielt – mein Freund war ein ausgeglichener, zurückhaltender, feiner Mensch. Ich hatte ihn 1957 gleich nach unserer Rückkehr aus El-Arish kennen gelernt, und seither war er oft bei uns zu Gast gewesen. Jetzt rief ich Amin in Frankfurt an und bat ihn, mir einen Brief zu schreiben. »Er soll freundliche Worte über Deutschland enthalten und am besten ein wenig religiös angehaucht sein«, sagte ich ihm. Natürlich machte Amin mit.
Mein Plan konnte nur funktionieren, weil meine gesamte Post an die Adresse der Firma meines Vaters in Kairo ging und mein Vater diesen Brief voraussichtlich lesen würde. Als ich mich kurze Zeit später in Kairo aufhielt, ließ mein Vater mich auch tatsächlich rufen und händigte mir Amins Brief aus. Ich nahm das geöffnete Kuvert entgegen und las. Wie vereinbart, enthielt dieser Brief viel Erfreuliches über Deutschland und endete mit dem geradezu genialen Satz: »Bitte vergiss nicht, mir einen Koran mitzubringen, wenn du kommst, und denke auch an einen Gebetsteppich für mich.« Ich legte den Brief zur Seite. »Ein anständiger Junge«, sagte mein Vater. »Wenn du dir Amin zum Vorbild nimmst, habe ich nichts dagegen, dass du nach Deutschland gehst.«
Am Morgen des 28. November 1962 verabschiedete ich mich auf dem Flughafen von Kairo von meinem Vater, und etwas Seltsames geschah. Er hatte mich immer härter angefasst als seine übrigen Kinder, weil ich derjenige war, der aus der Reihe tanzte, ständig Dummheiten im Kopf hatte, für jede Extravaganz zu haben war. Außerdem war ihm nicht entgangen, dass ich in denselben Widerstandskreisen verkehrte wie Mohammed und Abu Dschihad. Eines Tages hatte er in meinem Zimmer einen Zettel gefunden, auf dem ich notiert hatte, wie ich mir die Befreiung Palästinas vorstellte. Daraufhin hatte er mich zur Rede gestellt und mich eindringlich gewarnt: »Lass deine Finger davon. Das ist nicht deine Aufgabe.« Was er Mohammed durchgehen ließ, war ihm in meinem Fall nicht recht; für mich wünschte er sich ein unauffälliges, bürgerliches Leben. Er hatte sich schließlich damit abgefunden, dass ich nach Deutschland ging, aber nur unter der Bedingung, fleißig zu studieren und mit einem ordentlichen Diplom zurückzukommen. Und nun, am Flughafen, sah ich zum ersten Mal einen feuchten Schimmer in seinen Augen. Er sah mich an und sagte: »Nichts auf Erden geht einem Menschen über seinen Sohn. Er liebt ihn mehr als sich selbst.« Dann umarmte er mich. Das war alles. Im nächsten Moment wandte er sich um und ging. Aber dieser Blick und diese Umarmung haben mich mein Leben lang begleitet.
Ein faszinierendes Land
Ich lief mit meinem Freund Amin durch das schon nachtdunkle, erleuchtete Frankfurt. Da, wo er wohnte, waren Mädchen auf der Straße, die sangen hinter den beiden Koffer schleppenden, schwarzhaarigen jungen Männern her: »Zwei kleine Italiener …« Ein bekannter Schlager damals. Ich sah Amin fragend an. »Sie singen für dich«, sagte er und übersetzte mir den Text.
Am nächsten Tag schon ging es weiter nach Lüneburg, zum Deutschlernen. Und jetzt, bei Tageslicht, offenbarte sich mir eine völlig fremde, wahrhaft exotische Welt. Die Straßen, der Verkehr, die Menschen, die Geschäfte – mit jedem Blick fing ich Bilder auf, die ich noch nie zu Gesicht
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