Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
fand sich jemand, der bereitwillig meine Fragen beantwortete, der mir geduldig den Weg erklärte. In den ersten Jahren waren wir Ausländer sogar eingeladen, den Heiligen Abend in deutschen Familien zu verbringen, und es war wunderschön. Besondere Herzlichkeit schlug mir aus dem großen Kreis der Vertriebenen entgegen. Diese Menschen brachten wirkliches Verständnis
für uns Palästinenser auf – Menschen wie mein künftiger Schwiegervater, den ich nun erst einmal als meinen Vermieter kennen lernte.
Durch meine Frau weiß ich, wie ich an mein Zimmer in Langen kam, einer Kleinstadt unweit von Frankfurt. An ihrer Schule wurde in allen Klassen ein Rundschreiben verlesen und jeder Schüler gefragt, ob seine Familie einen ausländischen Studenten aufnehmen würde. Unter anderen meldete sich die Familie Dugas in Langen, und ich bezog ein Zimmer bei ihr im Stadtteil Oberlinden, wo nach dem Krieg eine neue Siedlung für Vertriebene entstanden war. Die Grundstücke der Häuser dort waren nur durch einfachen Maschendrahtzaun voneinander getrennt, weil alle Nachbarn gern miteinander redeten, auch von Garten zu Garten – was mir ebenso gefiel wie die Tatsache, dass man hier zusammenhielt und einander half. Am meisten aber imponierte mir dieser Herr Dugas, der große Ähnlichkeit mit Kirk Douglas hatte, der während des Kriegs als Gefangener der Engländer in Ismailia am Suezkanal interniert gewesen war und dessen Familie, wie auch die seiner Frau, gegen Kriegsende aus Oberschlesien geflohen war. Er nahm lebhaften Anteil an meinen Erzählungen von unserem Leben in Gaza, er war überhaupt ein temperamentvoller, leidenschaftlich parteiergreifender Mensch, und ich kann nichts anderes sagen, als dass ich von der ganzen Familie mit echter Warmherzigkeit aufgenommen wurde.
Ich bin froh, auch in der Politik die Generation der Kriegsteilnehmer noch erlebt zu haben, derjenigen, die die schwersten Zeiten durchgemacht hatten – bei ihnen bin ich oft einer tiefen Menschlichkeit begegnet, wie sie zum Beispiel Hans-Jürgen Wischnewski auszeichnete. Ich habe von ihnen das Beste gelernt, was man von Deutschen lernen kann: sich in den Dienst einer Sache zu stellen, das Persönliche unterzuordnen, sein Vorhaben gründlich zu durchdenken und der Organisation
große Aufmerksamkeit zu schenken. Ich war nicht so geboren. Ich brachte die Energie mit – Ernsthaftigkeit und Disziplin kamen in Deutschland erst hinzu. Als Daniel Cohn-Bendit mich später in einer öffentlichen Diskussion als »germanisierten Palästinenser« bezeichnete, war es mir gar nicht unrecht.
Natürlich habe ich in Deutschland die neue, bis dahin unvorstellbare Freiheit genossen – und auf eine sehr persönliche Weise ausgekostet: Ich fahre gern Auto, ich fahre gern schnell, und nach ganz bescheidenen Anfängen wurden meine Autos immer größer (beziehungsweise flacher). Es fing an mit einem »Goggomobil«; das war für ein paar Groschen zu haben, aber der Heckmotor rumorte dermaßen, dass ich schleunigst auf einen »Isar« umstieg (ebenfalls von der Firma Glas), womit man erheblich salonfähiger – und schneller – war als mit einem »Goggomobil«. Und irgendwann, viele Jahre später, schenkte mir ein Freund, der Scheich Hamad Al Thani, einen »de Tomaso« mit 370 PS, ein ziemlich seltenes Fahrzeug, das beim Starten mit einem ähnlichen Geräusch aufwartete wie zehn Motorräder, die alle gleichzeitig angelassen werden. Aber einem »de Tomaso« sieht man nach, was man einem »Goggomobil« nicht verzeiht, und wenn ich sage, dass auf dem Foto der Überwachungskamera über der Autobahn am Elzer Berg mein Nummernschild einmal nur verwischt zu sehen war … Und natürlich die Freiheit, lesen zu können, was ich wollte. Nach Gaza durfte man ja längst nicht jedes Buch einführen, und diese Beschränkung galt nicht nur für den ägyptischen Machtbereich, sondern für alle arabischen Länder. Werke, die sich mit dem palästinensischen Widerstand befassten, wurden gleich konfisziert.
Wenn je ein Ausländer nach Deutschland gepasst hat, dann ich. Dass dieses Land wirklich zu meiner zweiten Heimat geworden war, wurde mir bewusst, als ich zwei Jahre nach meiner Abschiebung im Jahr 1974 zurückkehren durfte.
Ich hatte diese Zwischenzeit abwechselnd in verschiedenen arabischen Ländern verbracht, und als ich nun zum ersten Mal wieder im Auto durch Frankfurt fuhr, kam es mir vor, als ob ich endlich heimgekehrt sei. Ich hatte regelrechte Sehnsucht gehabt, nicht nur nach meiner
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