Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
ihnen besaß eine schnelle Auffassungsgabe und einen Horizont, der ihm erlaubte, vernünftige und weitsichtige Entschlüsse zu fassen, wobei auch die Auslandserfahrung vieler Fatah-Mitglieder zu Buche schlug. Weniger umsichtigen Leuten hätte es wohl nicht eingeleuchtet, dass man in der Arena der internationalen Politik mitmischen und auch mit diplomatischen Mitteln kämpfen muss. Europa, die USA, die gesamte christliche Welt wurden bei den Entscheidungen der Fatah jedenfalls stets berücksichtigt und einbezogen.
Keine Berührungsangst! Allen voran dachte und handelte Arafat nach dieser Maxime. So wie er Menschen gern berührte, anfasste, in einem ganz physischen Sinne anzog, an sich heranzog, so aufgeschlossen war er Ideen, Religionen, neuen Einsichten gegenüber. Stets legte er größten Wert darauf, palästinensische Christen in seiner Mannschaft zu haben. Jedes islamische Frömmlertum, jeder religiöse Fanatismus lag ihm fern. Keine Frage, er war ein guter Muslim, er hielt die fünf täglichen Gebete ein, er las im Koran, er zitierte den Koran auch gern in seinen Reden – er hätte kaum so viel erreicht, wenn er weniger auf die Religion gegeben hätte. Aber er instrumentalisierte sie nicht, und vor allem: Nie, auch nach den erschütterndsten Erlebnissen nicht, empfand er antijüdische Ressentiments. Als er in Ost-Berlin einer KZ-Überlebenden, einer kommunistischen deutschen Jüdin, begegnete, hörte er sich ihre Leidensgeschichte lange an und umarmte sie anschließend herzlich. Arafat, Abu Dschihad, Abu Iyad – sie alle waren mit jüdischen Spielkameraden aufgewachsen, und sie
bekämpften eine bestimmte Form des Kolonialismus, nicht Menschen eines bestimmten Glaubens. Antisemitismus war ihnen fremd.
Im Übrigen war Yassir Arafat von Anfang an der unbestrittene Führer der Fatah. Er wuchs nicht allmählich in diese Position hinein. Seine Führungsrolle stand auch nie ernsthaft infrage. Mein Eindruck war immer, dass er allen anderen jederzeit um einige Schritte voraus war. An Zähigkeit konnte es niemand mit ihm aufnehmen, und genauso ausgeprägt war seine Fähigkeit, im geeigneten Augenblick einen unvorhergesehenen Kompromiss einzugehen. Als genialer Taktiker wusste er, wann er die Pistole aus der Hand zu legen und den Ölzweig zu ergreifen hatte, aber auch, wann es geraten war, den Ölzweig gegen die Pistole zu tauschen. Natürlich kam es an der Spitze bisweilen zu einem Gerangel, selbstverständlich zog Arafat mit seinem autokratischen Führungsstil immer wieder Kritik auf sich – aber er diktierte nicht. Er diskutierte, und zwar so lange, bis ein Konsens gefunden war, wenn es sein musste bis 3 Uhr morgens. Wer will ihm vorwerfen, dass dieser Konsens sich in aller Regel ziemlich genau mit seiner eigenen Auffassung deckte?
Eins waren die führenden Köpfe der Fatah jedenfalls nicht: Fanatiker. Und deshalb vermochten sie, einen magnetischen Kern zu bilden, der Menschen jeder Couleur anzog: Marxisten, Nationalisten, Muslime, auch Christen und in einzelnen Fällen sogar Juden. Ihre Aufgabe bestand darin, das Divergierende und eigentlich Unvereinbare auf einen Nenner zu bringen, eine überwölbende Identität zu stiften, und diese Identität versprach sich die Fatah vom Kampf um die verlorene Heimat gegen Israel.
Das war richtig, dieser Ansicht bin ich bis heute. Nicht, weil eine reelle Chance bestanden hätte, Israel zurückzuerobern, sondern weil dieser Kampf die einzige Garantie für das Überleben der Palästinenser als Volk darstellte. Zweck
der israelischen Politik war ja nicht nur, den Vertriebenen durch die Sprengung ihrer Dörfer jeden Grund für eine Rückkehr zu nehmen – sie zielte auch auf die Zerstörung dessen, was die versprengten Flüchtlinge noch miteinander verband, nämlich die Hoffnung auf eine Lösung, die ihnen als Volk gerecht würde. Das Fernziel der israelischen Politik war, eine Situation der Ausweglosigkeit zu schaffen, in der den Palästinensern nichts anderes übrig blieb, als sich in den anderen arabischen Nationen aufzulösen – sodass kommende Generationen in Israel unbelastet vom Schicksal der Vertriebenen aufwachsen könnten, als hätte es die Palästinenser nie gegeben. Mit anderen Worten: Wir sollten spurlos verschwinden. Diesem Verschwinden hat die Fatah erfolgreich entgegengearbeitet.
Wie informiert man nun die Öffentlichkeit über die Existenz einer Untergrundorganisation? Abu Dschihad gründete im selben Jahr eine Monatszeitschrift mit dem Titel Filistinuna
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