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Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Titel: Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdallah Frangi
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Erlebnisse und meine Beweggründe. Adnan, Zuhair und Said ging es nicht anders.
    Und dann saß eines Tages mein Vater am anderen Ende des langen Tisches. Er hatte in Jerusalem in der Al-Aksa-Moschee gebetet und die Genehmigung erhalten, mich im Gefängnis zu besuchen. »Dein Sohn Abdallah fürchtet dich mehr als uns«, sagte der anwesende israelische Offizier auf Arabisch zu ihm. In dieser Stunde hatte ich allerdings eher Angst um ihn als vor ihm, denn mein Vater wirkte müde, verstört. Das war nicht der stolze, unnahbare Mann, den ich kannte, fürchtete und liebte, und er klang niedergeschlagen, als er das Wort an mich richtete. »Mein Sohn«, sagte er, »ich habe dich nach Deutschland geschickt, damit du in einem weißen Kittel nach Hause zurückkehrst, und jetzt bist du mit einem Gewehr zurückgekommen. Was soll aus dir werden?« Ich ertrug diese Traurigkeit in seiner Stimme, ich ertrug auch diesen Anblick nicht. Er, den ich immer noch wie einen halben Gott verehrte, war kurz davor, aus Sorge um mich Schwäche zu zeigen. Das musste ich verhindern. »Du hast uns gelehrt, die Heimat zu lieben«, antwortete ich ihm. »Du hast selbst gekämpft und trägst die Spuren dieses Kampfes noch an dir. Ich tue jetzt nichts anderes, als was du an meiner Stelle getan hättest…« Und während ich sprach, verwandelte er sich, richtete sich auf, lächelte sogar, nahm die altvertraute Haltung wieder an, und plötzlich schien es mir, als würde ich ihm Respekt abnötigen. Sein Blick sagte mir jedenfalls, dass ich in seiner Achtng gestiegen war. Womöglich war er stolz auf mich. Zum ersten Mal im Leben …
    Viel hatte er mir nicht zu sagen, aber er versprach, nichts unversucht zu lassen, um uns herauszuholen. Ich war überglücklich, ihn beim Abschied wieder so zu erleben, wie ich ihn
in Erinnerung hatte, und als ich ihm die Hand küssen wollte, zog er mich zu sich heran und flüsterte mir ins Ohr: »Gut so. Bleib stark.« Dann drehte er sich um und verließ den Raum.
    Die Verhöre gingen in der beschriebenen Form weiter. Im Grunde liefen sie auf ein zähes Ringen um unsere Seelen hinaus. Jeder gewöhnliche Israeli, den sie uns präsentierten, war als ein Argument für den Staat Israel gemeint, für die Dinge, wie sie nun einmal lagen. Mit anderen Worten: Sie wollten uns weichkochen, und der Widerstandskampf, zu dem wir aufgebrochen waren, spielte sich in diesen Monaten in unserer eigenen Brust ab. Bis dahin war ich Juden ja nur in Gestalt von Besatzungssoldaten begegnet, während des Suezkriegs in Gaza. Damals war es nicht zum Gespräch gekommen, und in Deutschland wusste man einfach nicht, wer Jude war, dort gab man sich nicht zu erkennen. Hier im Gefängnis machte ich also eine ganz neue Erfahrung: Ich lernte Juden als Menschen kennen und im Licht persönlicher Schicksale zu sehen. Damals erhielt ich den ersten Anstoß, meine Einstellung den einzelnen Juden gegenüber zu überdenken.
    Aber auch für den Augenblick war der Ertrag dieses Verfahrens größer als der gewöhnlicher Verhöre, und zwar für beide Seiten. Die Rechnung der Israelis ging insofern auf, als sie auf diese Art tatsächlich tiefe Einblicke in die Mentalität und Denkweise jener erhielten, die sie als ihre Feinde betrachteten. Doch auch wir haben unsere Chance genutzt, indem wir die Sache Palästinas – wahrscheinlich nicht überzeugend, aber immerhin unerschrocken – vertraten, nicht weniger beredt als auf einer Podiumsdiskussion in Deutschland. Es hat Kraft gekostet, sich nicht auf ihre Sicht der Dinge einzulassen, aber wir haben diese Kraft aufgebracht.
    Waren sie nach vier Monaten zu dem Schluss gelangt, aus uns klug geworden zu sein? Jedenfalls drohten sie an, uns zu erschießen, sollten wir ihnen noch einmal in die Hände fallen  – und ließen uns Anfang November frei. Mir überreichten
sie zum Abschied sogar das Fläschchen Eau de Toilette der Marke Tabac, das sie in dem Sack gefunden hatten, in dem ich mein Gewehr und meine Munition verstaut hatte. Einer, der mit seinem Eau de Toilette in den Kampf zieht? Vielleicht schätzten sie ja auch die Bedrohung, die von einem solchen Partisanen ausgeht, nicht besonders hoch ein.

Wo gehöre ich hin?
    »In Palästina sehen wir uns wieder«, hatte Arafat zu mir gesagt, als wir zu unserem Einsatz aufbrachen. Zu diesem Wiedersehen war es nicht gekommen. Aber Arafat hielt sein Wort und ging, während wir im Gefängnis saßen, ins Westjordanland, richtete in einer Höhle bei Jenin seinen Befehlsstand ein und

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