Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
Geschichten zusammenfantasierte, ja, dass er selten den Mund aufmachte, ohne zu lügen. So erzählte er uns eines Tages, sein Vater sei
mit einer Italienerin verheiratet und lebe mit ihr in Rom. Im Gefängnis kam dann heraus, dass seine Mutter eine Beduinin war – sie besuchte ihn nämlich eines Tages. »Meine Mutter? Eine Italienerin? Habe ich nie behauptet«, kommentierte er unsere Entdeckung. Aber er war ein gutmütiger, netter Kerl; seine Lügen verdankten sich seiner überschäumenden Fantasie, und deshalb ging mir das, was mit ihm in Damaskus geschah, sehr nahe. Ähnliches konnte einem in Syrien allerdings leicht widerfahren; ich selbst habe später vergleichbare Situationen nur mit viel Glück überlebt.
Gleich nach unserer Landung in einem winterlich grauen, feuchtkalten Damaskus setzte ich mich mit Abu Dschihad in Verbindung. Er versprach, ein Treffen mit dem Zentralkomitee der Fatah zu arrangieren. »Das machen wir«, sagte er, »aber morgen möchte euch erst einmal der Chef des syrischen Geheimdienstes sprechen.« Gründe nannte er nicht. Said und ich gingen hin.
Der Mann, der uns in einer düsteren syrischen Amtsstube hinter seinem Schreibtisch sitzend erwartete, war mir vom ersten Augenblick an unsympathisch – ein aufgeblasener Knirps, der sein Selbstbewusstsein aus den Sternen auf seinen Schulterklappen bezog. Mir gefiel auch nicht, wie er seine Fragen stellte, nämlich so, dass klar war, welche Antwort er erwartete. Im Verlauf des Gesprächs gab er Nasser die Schuld an der Niederlage im Sechstagekrieg, stellte ihn als Versager hin und deutete sogar an, es habe sich hier um ein Komplott zwischen Nasser und den Israelis gehandelt. Als er das hörte, gab Said alle Zurückhaltung auf und sagte: »Wir haben in Israel festgestellt, dass sich die Israelis nur vor einem fürchten – vor Nasser.« Er hatte diesen Satz kaum ausgesprochen, da versteinerte das Gesicht unseres Gegenübers.
Nach etwa einer Stunde konnte und wollte ich diesem Mann nicht länger Rede und Antwort stehen und fragte, ob wir gehen könnten. Er sah mich an. »Du kannst gehen«, sagte
er. »Mit deinem Freund möchte ich mich noch unterhalten.« Ich ging ins Hotel und wartete dort, aber Said kam nicht. Nach zwei Stunden rief ich Abu Dschihad an, der zusagte, sich um den Fall zu kümmern, doch nichts geschah; Said tauchte weder am Abend noch in der Nacht auf. Am Morgen fuhr ich zu Abu Dschihad. »Die Syrer haben ihn festgehalten«, sagte er. »Sie glauben, dass er eure Gruppe verraten hat.« Anderntags teilte er mir mit, dass sie Said gefoltert hätten. Aufs Höchste beunruhigt folgte ich der Einladung von Abu Dschihad zum Mittagessen im Haus von Faruk Kadumi.
Bis auf Abu Iyad und Abu Mazen (Abbas) war tatsächlich das gesamte Zentralkomitee dort versammelt. Von der Höhle des Löwen zu sprechen, wäre weder angemessen noch fair, aber … Nie zuvor hatte ich vor einem solchen Gremium gesprochen, und wenn ich einen Vortrag vor dem ZK der KPD-SU hätte halten müssen, wäre ich nicht nervöser gewesen. Zudem war mein Auftritt von einer gewissen Brisanz, denn ich wollte die Bilanz eines stümperhaft vorbereiteten und allzu sorglos durchgeführten Unternehmens ziehen, dessen Schwachpunkte ich mir säuberlich notiert hatte: die miserable militärische Ausbildung, die unklaren Anweisungen, die verrückte Idee, bei Familien zu wohnen, wo sich unsere Ankunft in Windeseile herumsprechen musste, der schlechte Zustand unserer Waffen, und, ganz nebenbei, die Kommuniqués, die unsere Seite veröffentlichte – völlig übertrieben und teilweise schlicht erfunden. Aber warum sollte uns im militärischen Bereich nicht gelingen, was wir mit dem Aufbau einer hervorragend funktionierenden Studentenorganisation geschafft hatten? Ich hoffte, zumindest einige wertvolle Erfahrungen beisteuern zu können.
Es gab ein außerordentlich reichhaltiges arabisches Essen, jeder füllte sich seinen Teller, zog sich damit in einen Sessel zurück, und nachdem sich beim Kaffee die gewohnte Atmosphäre
entspannter Zufriedenheit eingestellt hatte, erteilte mir Abu Dschihad das Wort.
Ich war gerade mit den ersten kritischen Bemerkungen auf unsere militärische Ausbildung eingegangen, als Arafat sich in seinem Sessel aufrichtete und ziemlich unwillig dazwischenfuhr: »Jeder Kämpfer ist für den Verlauf seines Unternehmens selbst verantwortlich!« – »Bruder Abu Amar«, erwiderte ich mit der gebotenen Höflichkeit, »wir hatten gar keine Zeit, Verantwortung zu
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