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Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Titel: Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdallah Frangi
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palästinensischer Seite dreitausendfünfhundert Tote. Arafat entkam dem Gemetzel nur, weil er sich unerkannt, als Kuwaiti verkleidet, im Schutz einer kuwaitischen Delegation im letzten Augenblick nach Kairo absetzen konnte. Abu Iyad und Kadumi hingegen landeten in
einem Gefängnis der jordanischen Hauptstadt. Noch schlimmer erging es Abdallah Abu Site, dem Mann, der meinen Vater 1939 gerettet und sich später von Abu Dschihad zu einer größeren Spende hatte überreden lassen: Er wurde erschossen, obwohl er Beduine war und Beduinentracht trug. Abu Iyad und Kadumi hatten mehr als Glück, dass ihnen nicht das Gleiche widerfuhr – es bedurfte einer Intervention Nassers, um die beiden vor der Hinrichtung zu bewahren.
    Für die Palästinenser war es ein Kampf um Leben und Tod. Die Verfolgung setzte sich in den kleineren Orten entlang des Jordans fort, die der Fatah als Stützpunkte dienten, wobei die Jordanier derart gnadenlos vorgingen, dass Dutzende junger Palästinenser es vorzogen, sich auf israelisches Territorium abzusetzen und sich der israelischen Armee zu ergeben. Arafat, der sich nun ebenfalls nicht mehr auf jordanisches Gebiet wagte, hatte sein provisorisches Hauptquartier mittlerweile in einem Wohnhaus der südsyrischen Grenzstadt Daraa aufgeschlagen, wo ich ihn im Oktober besuchte. In seiner Gesellschaft befanden sich Abu Yusef el-Najjar und Kamal Adwan, beide Mitglieder des Zentralkomitees.
    Gleich nach dem Beginn des Massakers in Amman hatten wir in Deutschland Medikamente gesammelt und mit einem Autokonvoi nach Amman geschickt. Ich flog nach Syrien, um den Konvoi in Daraa zu erwarten, und verbrachte drei trübselige, erschütternde Tage mit Arafat und den anderen. Es herrschte Weltuntergangsstimmung. Arafat war unablässig damit beschäftigt, den laufend eintreffenden Unheilsboten aus den Kampfgebieten Mut zuzusprechen. Das taten die anderen auch, aber es verstand doch keiner so wie Arafat, aus jedem Hoffnungsfunken ein Feuer der Zuversicht zu entfachen. Auch den Verzweifeltsten vermochte er zu überzeugen, dass es noch schlimmer käme, wenn man jetzt aufgäbe. In der Kunst des Ermutigens war Arafat unübertroffen, und nichts war in diesen Tagen mehr gefragt. Zwischendurch unterredete
er sich mit den palästinensischen Offizieren der jordanischen Armee, die zu uns übergelaufen waren, und sorgte dafür, dass sie aus der Gefahrenzone geschafft und in den Libanon gebracht wurden.
    Am zweiten Tag meines Aufenthalts unternahmen zwei Offiziere der PLA (Palestine Liberation Army) einen Ausflug ins Grenzgebiet. Sie waren mit Arafat gekommen, hatten Zimmer im Nachbarhaus bezogen, verirrten sich jetzt vielleicht zwanzig Meter auf jordanisches Gebiet – und wurden von jordanischen Soldaten mit Bajonetten niedergemacht. Ich bewunderte die seelische Stärke, die Arafat auch nach solchen Hiobsbotschaften davon abhielt, sich der Verzweiflung – oder rasender Wut – zu überlassen.
    Nachts schliefen wir in Daraa alle gemeinsam auf Feldbetten in einem Raum, nur Arafat hatte ein eigenes Zimmer. Und Abu Yusef schnarchte. Er schnarchte so laut, dass ich mir nicht anders zu helfen wusste, als mit meinem Feldbett zu Arafat umzuziehen. Als ich eintrat, war er hellwach, stand auf, nachdem ich mich hingelegt hatte, und breitete eine seiner Decken über mich. Er konnte sie gut entbehren – er schlief immer unter einer Vielzahl von Decken, die er sich über den Kopf zog –, doch diese Geste berührte mich. Sie war zweifellos Ausdruck einer Fürsorglichkeit, die er allen seinen Leuten angedeihen ließ, aber ich sah auch eine Vertraulichkeit darin, wie sie unter Brüdern zwischen dem älteren und dem jüngeren besteht. Bei allem Respekt, den ich Arafat bis zu seinem Ende entgegenbrachte, war unser Verhältnis seither stark von dieser beinahe familiären Vertrautheit geprägt, die sich in einem entspannten, kumpelhaften Umgang äußerte.
    Fortan begegnete ich Arafat häufig auf Sitzungen in Damaskus oder Beirut. Er schien mich gern in seiner Nähe zu haben, er schlug mir bisweilen in einer derb-freundschaftlichen Art auf den Oberschenkel und stieß mich einmal lachend vom Sofa; er war ja überhaupt ein Mensch, der die körperliche
Nähe suchte und mit seiner einnehmenden Art eine Atmosphäre der Kameradschaftlichkeit zu schaffen wusste. Während einer Konferenz in Beirut 1973 wurde ein Gruppenfoto sämtlicher PLO-Vertreter aufgenommen. Arafat forderte mich auf, in der ersten Reihe vor ihm in die Hocke zu gehen, und auf

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