Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
Amerikaner durften nicht verärgert werden, die Israelis durften nicht einmal ansatzweise kritisiert werden. Die junge Generation hatte sich als Erste über diese Denkverbote hinweggesetzt, und nun zogen jene nach, die man damals der schweigenden Mehrheit zurechnete.
Doch nicht nur in Europa befand sich die Welt in Gärung. Überall rumorte es; in Vietnam, in Südafrika und an vielen Orten dieser Erde hatte man das Gefühl, den Weg in die Freiheit zu beschreiten. Wir Palästinenser sahen uns bisher von dieser Entwicklung ausgeschlossen. Dann kam es zur Schlacht von Karame, und damit änderte sich für uns alles.
Das jordanische Dorf Karame – in dessen unmittelbarer Nähe mein Kommandotrupp im Jahr zuvor den Jordan durchquert hatte – diente Arafat mittlerweile als eines seiner Hauptquartiere. Eine größere Zahl Fedajin hatte sich dort verschanzt. Ende März unterrichteten jordanische Offiziere Arafat von einem bevorstehenden Angriff der israelischen Armee und rieten ihm, sich zurückzuziehen. In dieser Situation erwies sich Arafat als genialer Taktiker. Von Abu Dschihad, Abu Iyad und Abu Lutuf darin bestärkt, entschloss er sich, auszuharren und Widerstand zu leisten. Und während am anderen Jordanufer israelische Truppen in Stellung gingen, beschwor
Arafat seine Kämpfer: »Wir werden dem Mythos von der unbesiegbaren Armee ein Ende machen!«
Ein Wagnis. Nicht nur, weil sich alle anderen Partisanengruppen zurückgezogen hatten – mit der Begründung, eine offene Feldschlacht gegen die israelische Armee sei Selbstmord –, auch weil diese Aktion von den Israelis als Todesstoß für die palästinensische Partisanenbewegung gedacht und entsprechend bemessen war. Im Übrigen beabsichtigten die Israelis natürlich auch, Arafat auszuschalten.
Mit dem sicheren Sieg vor Augen griffen die Israelis an, aus der Luft mit Bomben und Raketen, am Boden mit Infanterie und Panzerverbänden. Womit sie nicht gerechnet hatten: Auch Truppenteile der jordanischen Armee schalteten sich ein und beantworteten den israelischen Angriff mit anhaltendem Geschützfeuer. Der Widerstand war so massiv, dass sich die Kämpfe bis zum Abend hinzogen, und da in der anbrechenden Dunkelheit an Rückzug nicht mehr zu denken war, sah sich die israelische Armee zum ersten Mal gezwungen, um einen Waffenstillstand nachzusuchen. Am Ende dieses Tages zählten die Fedajin mehr als hundert Tote und die Jordanier über sechzig, aber mit dreißig Toten, achtzig Verletzten und vier zerstörten Panzern hatten auch die Israelis hohe Verluste zu beklagen – verglichen mit dem glänzenden und leichten Sieg im Sechstagekrieg. Und Arafat erfreute sich weiterhin seiner Freiheit. Er hatte von einem Hügel aus die Schlacht beobachtet, während ein israelischer Suchtrupp in einem Hubschrauber nach einem weißen Volkswagen Ausschau hielt, in dem Arafat angeblich geflohen sein sollte.
Israel hatte zwar keine Niederlage erlitten, aber eine Blamage erlebt. Und mit einem Mal schaute alle Welt auf die Fatah. In Amman folgten sechzigtausend Menschen den Särgen der Gefallenen. Selbst König Hussein, kein Freund Arafats, erklärte sich in einer Rede zum Fedajin. Und Tausende kampfbereiter, junger Männer, zumeist Studenten, füllten in den
nächsten Monaten die Reihen der Fatah. Kurzum, die Schlacht von Karame verschaffte der Fatah jene Sonderstellung unter den Befreiungsbewegungen, die Arafat zum unangefochtenen Führer des palästinensischen Widerstands machen sollte.
Zur selben Zeit erlebten wir in Europa einen enormen Aufschwung. Die GUPS in Deutschland hatte sich ohnehin unter allen Palästinensern einen Namen gemacht – »die in Deutschland …« war zu einer stehenden Redewendung geworden.1969 nahmen wir das bisher größte Projekt in Angriff: Zusammen mit Hani und Hayel betrieb ich den europaweiten Aufbau von Studentenvereinen nach dem Vorbild der deutschen GUPS, und am Ende des Jahres waren wir in fast allen westeuropäischen Staaten vertreten. Die palästinensischen Studenten in Osteuropa hatten ihre eigene Organisation. Es war also eine allgemeine Dynamik zu spüren. Als wichtigstes Ergebnis des Jahres 1968 aber verdient festgehalten zu werden, dass sich das palästinensische Volk in der arabischen Welt den Respekt zurückerwarb, den es 1948 verloren hatte, als viele ihm vorwarfen, sein Land kampflos den Zionisten überlassen zu haben.
Ein September in Amman
Bevor ich auf die dunkle Zeit des Terrors in den frühen 70er-Jahren zu sprechen komme, sei an
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