Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
dem Foto sieht man, dass er seine Hand auf meine Schulter legt. Er hat mir nie Anlass gegeben, solche Gesten anders denn als Zeichen einer Wertschätzung zu verstehen, die sich im Übrigen auch in unserer Zusammenarbeit zeigte. Soweit es Europa betraf, schloss er sich durchweg meiner Meinung an und ließ mir bei meinen Entscheidungen weitgehend freie Hand. Und wenn er sich vergaloppiert hatte, konnte ich mir erlauben, ihn zu kritisieren – und sei es dadurch, dass ich weniger begeistert war, als er erwartet hatte.
In den Gesprächen, deren Zeuge ich in Daraa geworden war, hatte ich das Entsetzen gespürt, das jeden angesichts der Katastrophe in Amman befallen hatte. Nach dem Ende der Kämpfe in Jordanien schlug dieses Entsetzen in eine Revolte innerhalb der PLO gegen die eigene Führung um. Als Arafat sich auf dem Gipfeltreffen in Kairo gegenüber König Hussein eine Geste der Versöhnung erlaubte und ihm die Hand reichte, spaltete sich eine Gruppe von Enttäuschten und Verbitterten ab, die im Gegensatz zu Arafat nur auf Rache sannen. Damit begann jene Phase in der Geschichte des Nahostkonflikts, die die Palästinenser auf Jahre hinaus als Terroristen in Verruf bringen sollte, vor allem in Europa.
Die erste Aktion dieser Autonomen war die Ermordung des jordanischen Ministerpräsidenten Wasfi at-Tall, des direkten Verantwortlichen für die Massaker von Amman. Was dann folgte, war eine lange Serie von Überfällen, Anschlägen und Flugzeugentführungen, die auch die europäischen Länder traf. Für viele dieser Terrorakte zeichneten Fatah-Abspaltungen wie der Schwarze September verantwortlich, aber auch etablierte Gruppen wie die Volksfront zur Befreiung Palästinas
(Popular Front for the Liberation of Palestine, PFLP) des George Habash, die sich bereits 1968 durch Flugzeugentführungen unrühmlich hervorgetan hatte. Die schlimmste Aktion des Schwarzen September war der Überfall auf die israelischen Sportler während der Olympischen Sommerspiele in München. Nicht nur, dass solche Aktionen in keinem Fall mit der Führung der PLO abgesprochen waren, diese radikalen Gruppen planten ihre Attentate auch unter größter Geheimhaltung, sodass Arafat nichts anderes übrig blieb, als sich ein ums andere Mal von diesen Anschlägen zu distanzieren.
Zwischen 1970 und 1973 erlebte die PLO eine Zerreißprobe. Dass der Führungsspitze die Zügel immer wieder entglitten, lag auch an den blutigen Aktionen der Israelis, den gezielten Ermordungen von PLO-Führern und den Luftangriffen, die zerstückelte Zivilisten hinterließen und Eltern ihrer Kinder, Kinder ihrer Eltern beraubten, was auf palästinensischer Seite immer aufs Neue Zorn und Hass entfachte und von den Radikalen zur Rechtfertigung ihrer eigenen Terrorakte herangezogen wurde. Gefährlich wirkte sich dieser Teufelkreis der Gewalt für die Palästinenser auch deshalb aus, weil sie schlagartig das Wohlwollen einbüßten, das ihnen in Europa während der letzten Jahre entgegengebracht worden war. Unter diesen Umständen verfing die Propaganda der Israelis, die zwischen den brutalen Freischärlern vom Schlag des Schwarzen September und der Führung der Fatah nie unterschieden haben – und nie unterscheiden wollten. Alles dieselbe Mörderbande, hieß es von israelischer Seite – und aus der europäischen Distanz schien nichts gegen diese Einschätzung zu sprechen.
Die Sympathien galten dem freundlichen König Hussein von Jordanien, dem Lieblingskönig des Westens, mit seinen bezaubernden Frauen. Arafat hatte es in der Bilderwelt des Westens dagegen schwer. Er entsprach in keiner Weise dem europäischen Schönheitsideal, er gab sich kämpferisch, zuweilen
machtbewusst, und mit seinem Palästinensertuch erinnerte er irgendwie an dolchbewehrte Araber in dem Film Lawrence von Arabien , kurz, er bestätigte schon optisch den Eindruck eines Widerspenstigen. Die israelische Propaganda tat ein Übriges, Arafat zum Unruhestifter des Nahen Ostens zu stempeln.
Arafat kämpfte also an zwei Fronten. Niemand wusste besser als er, wie wichtig die Unterstützung der europäischen Staaten war. Genauso gut wusste er, dass die Wut seiner Leute ein Ventil brauchte. Im Zentralkomitee wurde um eine gemeinsame Haltung gegenüber dem Terror gerungen, und es waren jene PLO-Führer, die in Deutschland und Frankreich gelebt hatten, die eine europäische Kultur der Auseinandersetzung in die Diskussion einbrachten, sodass gegensätzliche Standpunkte ausgesprochen werden konnten, ohne
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