Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
heißen Debatten verabschiedet wurde, bedeutete nämlich nichts anderes als den endgültigen Abschied von der Illusion einer Rückeroberung jenes Teils von Palästina, auf dem die Israelis ihren Staat errichtet hatten, und von dem schönen, aber unrealistischen Traum eines gemeinsamen jüdisch-christlich-muslimischen Staates. Im Kern deklarierte die PLO mit diesem Programm ihre Bereitschaft zur Gründung eines Palästinenserstaates
auf jedem Quadratmeter befreiten Bodens – was de facto auf die Anerkennung Israels hinauslief, weil dieser Deklaration die Vision von zwei Staaten zugrunde lag, die zu friedlicher Koexistenz gezwungen wären. Damit verlor auch der bewaffnete Kampf an Bedeutung, während die Diplomatie von nun an die entscheidende Rolle spielen würde. Das wichtigste Resultat dieser Entwicklung aber war, dass die PLO durch die Anerkennung ihrer Legitimität zum einzigen rechtmäßigen Verhandlungspartner Israels avancierte – eine Aussicht, die der Nachfolger Golda Meirs, Jitzchak Rabin, mit den Worten quittierte: »Wir sind nur bereit, der PLO auf dem Schlachtfeld zu begegnen.« 4 (Später erließ die israelische Regierung ein Gesetz, das jeden Kontakt mit der PLO unter Strafe stellte. Es schien, als würde die PLO Israel umso gefährlicher, je kompromissbereiter sie auftrat.)
Dennoch hatten wir alle das Gefühl: Jetzt wird es ernst, jetzt kommt tatsächlich etwas in Gang. Es war ja auch so. Die Sowjetunion stellte sich hinter uns, China bot seine bedingungslose politische und militärische Unterstützung an und ging so weit, von dem »sogenannten Staat Israel« zu sprechen. Selbst die Europäer streckten vorsichtig ihre Fühler nach Arafat aus, allen voran die Franzosen. Im Januar 1974 suchte ihn der Vorsitzende der Sozialistischen Partei, François Mitterrand, in Kairo auf, im darauffolgenden Oktober traf sich der französische Außenminister Jean Sauvagnargues mit ihm im Libanon. Und dann, im selben Monat, erkannte die Vollversammlung der Vereinten Nationen die PLO mit überwältigender Mehrheit als nationale Befreiungsbewegung an. Nur vier Staaten widersetzten sich in der Abstimmung: Bolivien, die Dominikanische Republik, Israel und die USA. Wieder darf man von einem Wendepunkt sprechen, denn erstmals
seit 1948 wurde das Palästinaproblem nun nicht mehr als gewöhnliches Flüchtlingsproblem behandelt, sondern als eine Frage der nationalen Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. In den Augen der Weltöffentlichkeit bildeten wir also keinen undefinierbaren Haufen Versprengter mehr, sondern ein Volk mit Anspruch auf einen eigenen Staat.
Die Serie der ungeahnten Erfolge gipfelte am 13. November 1974 in der Rede Arafats vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen. So hervorragend aufgebaut diese Rede auch war – der berühmte palästinensische Dichter Mahmud Darwisch hatte ihr den letzten Schliff gegeben –, sorgte Arafat bei dieser Gelegenheit doch für einigen Missmut mit seiner Weigerung, seine Pistole abzulegen. Allerdings hatte er vorher das Magazin herausgenommen, sonst hätte man ihn natürlich nicht eingelassen. Wahr ist aber auch, dass diese Pistole sonst stets geladen war. Er trug sie ja nicht zur Zierde, und als später die Gefährdung für ihn zunahm, legte er sich außerdem eine kurze, zusammenklappbare Maschinenpistole zu, die er jederzeit mit sich führte und bei Unterredungen auf einem kleinen Tisch in Reichweite, in einer geöffneten Schublade oder direkt vor sich ablegte. Bei seinen späteren Besuchen in Deutschland hat sich Arafat übrigens tatsächlich bei diversen Gelegenheiten von seiner Pistole getrennt, weil … nun, weil ein bewaffneter Arafat in Deutschland ein echtes Imageproblem gehabt hätte.
Wir hatten viel erreicht. Und nun blickte Arafat nach Europa. Er, Abu Said, wir alle waren der Ansicht, dass das Zehn-Punkte-Programm uns die Türen zu jenem Kontinent öffnen müsste, der die historische Verantwortung für die Lage im Nahen Osten trug. Und während Arafat, Abu Dschihad, Abu Iyad, Abu Said, Kadumi und Abu Mazen ausschwärmten und in der restlichen Welt wie Repräsentanten eines Staates empfangen wurden, gingen ich und meine Kollegen in den europäischen Hauptstädten daran, Deutsche, Franzosen und Engländer
für unser Konzept einer Zwei-Staaten-Lösung zu gewinnen.
Unter den Palästinensern in Deutschland herrschte Aufbruchstimmung. Wir konnten uns, salopp ausgedrückt, vor Freude kaum bremsen. Doch statt zu feiern, haben wir gearbeitet; ein
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