Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
dem Bildschirm eines Fernsehers in einem deutschen Wohnzimmer oder vor dem Mikrofon eines deutschen Journalisten nicht.
Allmählich lernte ich, meine alten rhetorischen Neigungen zu bezähmen, indem ich zu einer sehr genauen Selbstbeobachtung überging. Ich entwickelte ein System der Selbstkontrolle, das auch ein aufmerksames Studium meines Gegenübers einschloss, seines Gesichtsausdrucks und aller mimischen Regungen, aus denen sich ablesen ließ, mit welcher Argumentation ich bei ihm ankam und welche ihn nicht überzeugte – mit dem Erfolg, dass sich meine Hitzköpfigkeit im Laufe der Zeit legte und ich zu einer sachlichen, ruhigen Argumentationsweise fand, ohne in der Substanz nachzugeben. Diese Fertigkeit baute ich dann zu einer rhetorischen Strategie aus, die es dem anderen überlässt, seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Meine Gesprächsbeiträge bestanden schließlich in der Hauptsache aus erzählenden Darstellungen und Fragen oder Gegenfragen, und diesen Diskussionsstil habe ich auch dann beibehalten, als ich später in Gaza in die Auseinandersetzungen mit der Hamas verwickelt wurde. Nicht einmal ihre Morde
habe ich mit erregten Worten kommentiert, sondern den Anblick, den das Opfer bot, oder die Verfassung seiner Familie beschrieben – und alle Schlussfolgerungen meinen Zuhörern überlassen. Nur ein einziges Mal habe ich diesen Grundsatz vergessen, nämlich 1982, als die israelische Luftwaffe ihre pausenlosen Angriffe auf Beirut flog.
Ich telefonierte damals unablässig mit Abu Dschihad, Hayel, Arafat und Abu Iyad; die Verzweiflung war jedem anzumerken. Dann sendete der israelische Rundfunk die Meldung, die Palästinenser hätten kapituliert – eine Falschmeldung, wie sich herausstellte. Bei mir lagen die Nerven ohnehin blank, und als ich im nächsten Interview darauf angesprochen wurde, antwortete ich spürbar erregt mit der Drohung: »Wenn die Israelis Krieg haben wollen, sollen sie ihn haben. Wir werden diesen Krieg bis zum bitteren Ende führen, und die Israelis werden ihr blaues Wunder erleben …« Das Interview wurde um Viertel nach zwölf im Deutschlandfunk ausgestrahlt. Um halb eins läutete bei mir das Telefon. Es war Ben Wisch. »Hast du Zeit? Komm mal vorbei.«
Er kochte Kaffee. Dann setzte er sich zu mir und sagte: »Abdallah, du hast heute ein Interview gegeben. Ich habe es gehört. Du hast die Grenze überschritten. Du musst dich zusammenreißen. Die Deutschen mögen diesen scharfen Ton nicht. Und davon abgesehen – wenn ihr militärisch wirklich so stark seid, dann trompetet man das nicht hinaus. Aber ihr seid es nicht. Ihr seid in einer üblen Lage, und mit deinem Kriegsgeschrei verspielst du auch noch die Sympathien deiner deutschen Hörer.« Von Benita bekam ich Ähnliches zu hören, nur drastischer formuliert. Beide hatten sie recht, aber ich war am Ende meiner Kräfte. Im Fernsehen hatte ich die Bilder von einstürzenden Hochhäusern gesehen, bewohnten Hochhäusern, die nach jedem israelischen Luftangriff Hunderte von Menschen unter sich begruben – Zivilisten, wohlgemerkt –, und war außer mir vor Entsetzen.
Trotzdem, als Stimme Palästinas durfte man sich solche Entgleisungen nicht zuschulden kommen lassen. Wenn ich mich heute für einen guten Redner halten darf, dann deshalb, weil ich von beiden Kulturen gelernt habe. Die Beherrschung der schönen Rede verdanke ich den Arabern, die Fähigkeit zur sachlichen Rede den Deutschen.
»Wann kommst du an die Reihe?«
Genauso, wie sich unter den deutschen Politikern schon in den 1970er-Jahren etliche fanden, die keine Berührungsangst kannten und die palästinensische Sache im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützten, gab es auch unter den deutschen Journalisten solche, die mit der Lage im Nahen Osten vertraut waren und aus ihrer Sympathie für die palästinensische Sache keinen Hehl machten. Dazu gehörten Gerhard Konzelmann und Ulrich Kienzle, beide Fernsehkorrespondenten der ARD, sowie Heinz Metlitzki vom ZDF , um nur drei der prominentesten Namen zu nennen.
Eine Sonderstellung nahm in dieser Gruppe Peter Scholl-Latour ein. Scholl-Latour verfügte über eine sensationelle Kenntnis der arabischen Welt und verstand es, den palästinensischen Standpunkt genauso sachkundig darzulegen wie den der Israelis, und da er grundsätzlich eine ausbalancierte Position bezog, war er als Diskussionsleiter ideal. Man könnte sagen: Sein Kopf zog ihn eher zur israelischen Seite hin, während sein Herz für die Araber schlug. Einmal
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