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Der Gesang der Haut - Roman

Der Gesang der Haut - Roman

Titel: Der Gesang der Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Picus-Verlag
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hatte recht – er floh. Der ganze Beziehungskram und von Grund auf die gegenseitigen Fehler zu analysieren, stank ihm. Er musste raus. Draußen atmete er tief ein und aus, stieg ins Auto und fuhr in den Taunus. Dort ging er zwei Stunden an Obstbäumen und Feldern entlang. Die Kirschbäume blühten. Hundsveilchen wuchsen am Wegrand. Er sah die Knospen eines Ginsters. War es nicht viel zu früh für die Ginsterblüte? Pummelige Wolken zogen flott über seinem Kopf dahin, die Erde der Felder glänzte zwischen frischen Kornsprossen und strahlte einen warmen Duft aus, der ihn in die schönen Sonntage der Kindheit versetzte. Er sah, wie seine Eltern vor ihnen, den drei Kindern, Richtung Wald marschierten, mit einem Picknicksack auf dem Rücken. Meistens lief er mit seiner Schwester zusammen und Martin stapfte hinterher, die Hosentaschen voll kleiner Steine, die er gegen die Baumstämme schmiss. Er sah die Pirouette des kleinen Bruders, der sich um sich selbst drehte, bevor er mit großer Gewalt einen Stein warf und nur manchmal den Baum traf. So sinnlos war Viktor diese Beschäftigung erschienen! Wie bei Köln begegnete er nur Menschen mit Hunden. Als ein Schäferhund ihn ansprang, protestierte er heftig bei dessen Herrchen, der sich nicht entschuldigte und die übliche Floskel über den harmlosen, noch jungen Hund von sich gab. Er erreichte den Wald, drehte dort seinen Kreis, anscheinend hatte man die Wege anders markiert, er pflückte für Klara einige Veilchen, leider duftlose, blasse Hundsveilchen, kam erst bei Dämmerung wieder zurück. Die Wucht seiner Gefühle war in eine Art fatalistische Traurigkeit abgeflacht, die Blumen hatten sich in seiner Tasche in ein feuchtes, zerdrücktes Häufchen verwandelt und der Schmerz in eine Krämerladen-Philosophie: Es kommt, wie es kommt. Man sollte der Zeit Zeit lassen und so weiter. Klaras Beschuldigungen erschienen ihm aber nicht mehr so ungerecht: Als Älterer und Reiferer hätte er damals wirklich länger mit Klara über ihre wahren, tiefen Wünsche sprechen müssen, ihren Berufswechsel und ihre Zusage, nach Köln mitzuziehen, dies alles hatte er nicht als Opfer wahrgenommen, weil sie beide so verliebt waren. Jedoch selbst bei diesem Bekenntnis hoffte er weiter, Klara würde noch nachdenken, ihre Entscheidung, in Frankfurt zu bleiben, überprüfen. Und wenn nicht, dachte er, hat auch eine Wochenendbeziehung ihre Vorteile, und irgendwann heiraten wir und ziehen zusammen. Als er an einem Vorgarten unter einer japanischen Kirsche anhielt, blies ihm der Wind eine rosa Blüte in die Haare. Er legte sie vor Klaras korrigierte Hefte. Erst aber, als er sie umarmte und sagte, du hast recht, ich bin ein Idiot, deine Entscheidung ist richtig und ich bin sicher, du wirst eine große Sängerin, Klara, du hast zweifellos das Zeug dazu, erst dann stand sie auf und erwiderte seine Umarmung. Aber kurz danach beim Abendessen: Du glaubst doch nicht an das, was du eben gesagt hast. Du willst ja bloß deinen Frieden.

18
    D as Telefon klingelte gleichzeitig mit seinem Wecker: Sieben Uhr. Frau Gerlach meldete sich. Ob sie ihn heute Nachmittag, es sei ja Mittwoch, zu Hause besuchen dürfte? Natürlich nur, wenn es ihm recht sei, ihr Mann spiele Golf und sie habe nichts zu tun. Viktor spürte eine neue Unsicherheit in Henrietta Gerlachs Stimme. Er gab sich Mühe, nicht unhöflich und nicht zu trocken zu wirken, als er fragte, worum es ging. Sie können es sich doch denken, lieber Viktor, seufzte sie, also, wie ist es, haben Sie heute Nachmittag etwas vor? Er verabscheute sich, als er antwortete, er sei ab drei Uhr zu Hause, müsse allerdings schon um siebzehn Uhr zu Doktor Hettsche, den er kennenlernen wollte. Wenn es ihr recht sei, könne sie gern vorbeikommen. Er biss sich auf die Lippe, »wenn es Ihnen recht ist«! Warum benahm er sich so unterwürfig? Auf der Wand gegenüber sah er runde Lichtkringel schillern, egal wohin er blickte, es flimmerte ihm vor den Augen. Frau Gerlach verabschiedete sich dankend, sie wirkte erleichtert, fast fröhlich. Viktor löste eine Tablette im Wasser auf, ließ das Wasser sehr lange im Glas herumkreisen, bevor er es schluckte, und legte sich wieder hin. Zum Frühstücken war es dann zu spät. Als er einem Patienten eine Blutprobe abnahm, schien ihm, dass die massive graue Gestalt von Frau Gerlach die Fensterscheiben verschleierte und ihm den Horizont versperrte.
    Er hatte sich nach dem Mittagessen beim Italiener gerade die Zähne geputzt, als sie beim ihm

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