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Der Gesang der Haut - Roman

Der Gesang der Haut - Roman

Titel: Der Gesang der Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Picus-Verlag
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klingelte. Sie war dünner geworden und stieg gebückt die Treppen hoch. Sie trug einen karierten Rock und Nylonstrümpfe. Der linke Strumpf saß schief. Sie begrüßte ihn mit einer atemlosen Stimme, machte einen überdrehten Eindruck. War es Einbildung oder optische Täuschung, er fand sie sogar kleiner, als hätte er sie vor zwei oder drei Wochen viel größer, aus der Kinderperspektive gesehen und erst jetzt, als Erwachsener, ihre wahre Größe wahrnehmen können. In seinem Unwillen, dieser Frau zu begegnen, hatte er zweifellos ihre Größe überschätzt. Eine harmlose ältere Dame besuchte ihn und würde bald wieder verschwinden. Sie setzte sich schüchtern hin, beide schwiegen, als er ein paar Salzstangen in ein Glas steckte, süße Plätzchen auf einen Teller legte und ihr Kaffee oder Cognac oder beides anbot, er habe, entschuldigte er sich, keine Zeit gehabt, Kuchen zu kaufen. Sie räusperte sich: Kaffee habe sie schon mit ihrem Mann getrunken und sie nehme jetzt gern ein Glas Cognac, das gebe Mut. Brauchen Sie Mut? Sie nahm prüfend eine Salzstange, als wüsste sie nicht, mit welchem Ende sie anfangen sollte, sagte, ah, hätte ich beinahe vergessen, und holte plötzlich aus ihrer Handtasche eine Flasche Martini hervor, sodass es wie ein Austausch aussah, als er die Gläser mit Henessy füllte und sie ihre Flasche auf den Tisch aufsetzte und leise sagte: Herr Fischer hat mich angerufen.
    Herr Fischer?
    Sie wissen, wer Herr Fischer ist, der Detektiv. Er hat Sie vor Kurzem besucht, sagte sie.
    Ja, es stimmt, er wollte Ihre Telefonnummer von mir haben. Wie ich sehe, ist dieser Mann doch nicht die absolute Niete, wie ich glaubte. Er hat sie doch selbst herausgefunden.
    Noch nie hatte Viktor bemerkt, dass Frau Gerlach schöne Augen hatte. War es die Gewichtsabnahme, die ihr Gesicht feiner machte? Grau und glänzend, hatten sie heute die sanfte Farbe eines Regentags. Sie knabberte jetzt Stück für Stück an ihrer Salzstange. Viktor hörte gebannt das Nagen und wartete auf das Ende der Salzstange. Ja, sagte sie endlich, Sie wissen also einiges.
    Ich weiß von einer unbezahlten Rechnung. Nichts Schlimmes. Wer vergisst nicht, eine Rechnung zu bezahlen, leider kenne ich das selbst gut. Vor Kurzem noch …
    Bemühen Sie sich nicht, lieber Viktor. Sie brauchen sich und mir nichts vorzumachen. Ich hatte übrigens die Arbeit von Herrn Fischer vergütet, seine offizielle Rechnung durchaus beglichen.
    Seine offizielle Rechnung?
    Er wollte von Ihnen, glauben Sie mir, keine Telefonnummer erfahren, die hat er längst, sondern mir damit einen Wink geben, eine Warnung zukommen lassen: Ich sollte erfahren, dass er bei Ihnen war, und mir Sorgen machen. Ein plumpes Manöver.
    Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Sie haben anscheinend noch eine Rechnung mit ihm offen, ich meine es jetzt im übertragenen Sinn, oder er mit Ihnen, aber was habe ich damit zu tun?
    Frau Gerlach nahm jetzt einen Schluck Cognac, setzte wieder ihr Glas ab. Ihre Lippen glänzten. Sie streckte die Zunge, um sich die feuchten Mundwinkel abzulecken, und deutete eine Art Schwimmbewegung an, als sie weitersprach:
    Ich habe lange überlegt, ob ich zu Ihnen kommen sollte oder nicht. Viktor, dieser Fischer erpresst mich. Er will hunderttausend Euro, die ich ihm unmöglich geben kann.
    Sie sprach schneller: Nein, keine Angst, Viktor, ich will Sie jetzt nicht anpumpen. Ich kann diese Summe nicht von der Bank holen, wir besitzen zwar genug Wertpapiere, aber dafür bräuchte ich die Unterschrift meines Manns, und er stellt sich stur, als ob die Sache ihn nicht beträfe. Ich verstehe nicht, was in ihm vorgeht. Vielleicht könnte ich mir diese Summe auch privat leihen, ich habe nämlich einen reichen Bruder, aber dieser Bruder hasst meinen Mann, der auch alles dafür getan hat, gehasst zu werden, mir wäre das sehr peinlich.
    Eine Erpressung, sagte Viktor. Darf ich erfahren, worum es geht? Herr Fischer hatte doch ihren Mann überwacht?
    Ich hatte ihn leider beauftragt. Mein Mann, ach Viktor, Sie haben es sicher schon gehört, mein Mann ist ein läufiger Hund – gewesen. Jetzt noch laut, aber im Grunde nur noch ein Häufchen Elend.
    Ihr Mann, versuchte er zu lindern, mochte Frauen, vielleicht zu sehr, und er war nicht der treueste Ehemann der Welt.
    Seine Abenteuer will ich jetzt im Nachhinein nicht zählen. Er gab sich mit Flittchen ab, mit verheirateten Damen der höheren Gesellschaft, mit seinen Auszubildenden, mit einer Cousine von mir. Die einzige Frau, die er, Gott

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