Der Gesang der Haut - Roman
Leben, den Visionen des jungen Paares mit zwei Kindern konnte er sich verabschieden, und doch liebte er sie noch, er wusste, diese Liebe hatte nichts mit seinen Plänen zu tun, auch wenn Klara ihm vor Kurzem am Telefon wieder vorgeworfen hatte, sie zu instrumentalisieren, sie zur Zierde seines eigenen Lebens machen zu wollen, zur Partnerin seiner Lebenseinstellung. Die Liebe, wiederholte sie, sei etwas anderes, etwas, was er noch kennenlernen müsse. Viktor war ein schlechter Verteidiger in eigener Sache. Er bat sie jedoch, wieder »chronologisch zu denken«: Das stimme ja, dass er sie zur Partnerin seines Lebens auserkoren habe. Ein normaler Weg, wenn man sich verliebt, ganz ohne Hinter- oder Zukunftsgedanken, auch sie habe sich in ihn verliebt und gewünscht, mit ihm zusammenzuleben, oder vielleicht nicht? Er hätte das Wort »normal« nicht aussprechen dürfen, das ein Leitmotiv ihrer Eltern war, die den Töchtern eine normale Existenz anstatt eines prekären Künstlerlebens wünschten. »Normal« schürte alten Groll wieder, und sie sagte empört: Ein normaler Weg! Das kann ich nicht mehr hören, kleinbürgerlich lieb, und ja, es tut mir leid, Viktor, aber kleinbürgerlich lieb bist du. Er versuchte, seine Verstörung zu kaschieren, führte schon wieder an, er habe sie nicht gebeten, ihre musikalische Laufbahn aufzugeben, im Grunde genommen, als sie sich in Paris in der Metro getroffen hatten, hatte sie doch schon … und … Und auf einmal hatte er diese Wiederholungen satt und gab klein bei: Ich bin einige Jahre älter als du, ich hätte spüren müssen, dass … Ja, Klaras Liebe zu ihm fiel mit ihrem Verzicht auf ihr Musikstudium zusammen, in ihrem Kopf entstand eine ungerechte Bedeutungsverschiebung, sie dachte, sie habe für ihn die Gesangskarriere »geopfert«. Wer ist so großzügig, dass er dem Partner sein Opfer verzeiht? Ich will dich wieder glücklich sehen, sagte er. Viktor, hörte er nach einer Weile, hör bitte einfach auf, lieb zu sein, ich kann es nicht mehr ertragen. Sie legte auf.
Bei den weiteren Telefonaten sprachen sie über das Wetter und andere so interessante Dinge.
Nach der Sprechstunde klopfte Marion an seine Tür und bat um eine Unterredung. Ich weiß, sagte er lächelnd, was Sie fragen wollen. Ja, Marion, ich kann Ihnen einen unbefristeten Vertrag aufsetzen. Ich wollte es Ihnen heute Abend mitteilen.
Das Mädchen wurde krebsrot. Tränen trübten plötzlich den blauen Blick: Ach, sagte sie, das kommt zu spät, ich habe mich woanders beworben, wie Sie es mir selbst geraten haben, und hatte ein gutes Vorstellungsgespräch bei einem anderen Hautarzt in Köln. Ich habe ihm gestern zugesagt und kann jetzt nicht zurück. Schade.
Sie schauten sich eine kurze Weile an und Viktor fragte sich, ob das Mädchen jetzt erwarte, er würde sie bitten, bei dem neuen Arzt abzusagen. Vielleicht hatte sie noch keinen Vertrag unterzeichnet? Er würde sie aber nicht bitten, und er wusste sofort warum. Wann wollen Sie dort anfangen?, fragte er. Im Juni. Meine letzten Urlaubstage möchte ich schon nächste Woche nehmen, nur wenn es geht, sonst … Aber sicher, Marion, wir werden Sie aber sehr vermissen. Ich hätte mir denken können, dass Sie schnell eine neue Anstellung bekommen, Sie haben ja bei der Prüfung bestens abgeschnitten. Er stand auf und umarmte sie. Ich freue mich für Sie und, wissen Sie, es ist in Ihrem Alter immer gut, nicht bei einer einzigen Erfahrung stecken zu bleiben, sondern mehrmals die Anstellung zu wechseln.
Sollte er jetzt sofort oder erst morgen bei Moira anrufen?
Er untersuchte ein Kleinkind, das unter Schuppen und roten Flecken am Rückenansatz und an den Ellbogen litt, der Junge versuchte sich überall zu kratzen und weinte, und Viktor nahm ihn in die Arme und tröstete ihn, nachdem er ihn eingecremt hatte und der begeisterten Mutter zurückgab (sie würde in der Krippe des Sohnes das Talent des neuen Doktors rühmen, ein so guter Arzt, ein warmherziger Mensch, ein Papa bestimmt), er ließ die kleine Rotznase an seinem Hals ruhen und blies leicht auf die verdickte Haut der Ellbogen, sang ein erfundenes Potpourri, und das Kleinkind beruhigte sich, die Salbe wirkte und der Seifengeruch an Viktors Hals oder die Zärtlichkeit seiner Stimme. Viktor verbarg seine plötzliche Trauer vor der Mutter, indem er die Stirn des Kindes gegen seine geschlossenen Augen drückte, lange würde Klara sich gegen eine Schwangerschaft wehren. War sein Wunsch nach einem Kind auch eine
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