Der Gesang der Haut - Roman
»Instrumentalisierung« seiner Freundin?
Er träumte in der Nacht darauf, dass er eine Ausstellung organisierte. Er hängte die Gemälde eines geistig und körperlich behinderten Kindes auf, eines spanischen Kindes, das hinter ihm trottete und mit fiebrigen Augen jeder seiner Gesten folgte. Viktor freute sich, dass sein Vater die Ausstellung besuchen würde, so könnte dieser auch sehen, wie sehr sich der Sohn seine Ratschläge zu Herzen nahm und selbst begann, ein Stück Kultur zu fördern. Niemand kam aber zur Ausstellung, niemand, auch der Vater nicht, der Raum blieb leer wie ein verlassener Fabrikraum. Er war allein mit dem Kind, dem spanischen Mädchen, das politisch unkorrekt wie ein Affe aussah.
Lange nicht von dir gehört, sagte Moira am Telefon, und ich glaubte, wir seien Freunde. Eine Freundschaft schließt man nicht innerhalb eines Nachmittags, stotterte Viktor, na ja, vielleicht doch, mein Leben ist gerade chaotisch. Deins vielleicht, meins spielt sich zurzeit nur im Kopf und in meinem Notizbuch ab. Das trifft sich gut, sagte Viktor, ich möchte Ihnen etwas vorschlagen, wollen Sie bei mir als Arzthelferin anfangen? Ich habe eine Stelle frei. Siezt du mich jetzt nur bei Fragesätzen oder grundsätzlich?, fragte sie, und Arzthelferin, schaffe ich das überhaupt? Ich bin Krankenschwester gewesen, nicht ganz dasselbe wie Arzthelferin. Meine bewährte Assistentin, Silvia, sagte er, wird Ihnen alles erklären und Marion, die uns demnächst verlässt, kann Ihnen noch diese Woche helfen, falls Sie sofort hier zur Probe anfangen können. Ich denke, Moira, Sie haben eine schnelle Auffassungsgabe. Ich fasse alles Mögliche auf, sagte Moira, bin ein Schwamm, aber ich muss mein Diplom zu Ende bringen, das Drehbuch, das weißt du doch. Ja, dann sind Sie gerade hier in der Praxis am Ort des Geschehens, Moira. Hm, das stimmt, aber es gibt noch eine Hürde: Ich bin in dich verliebt, derartige Gefühlswallungen schaffen ein ungesundes Betriebsklima. Selbstverständlich könnte ich täglich versuchen, meine Liebe bis sieben Uhr abends einzukapseln. Erdrosselte Gefühle, sagt man, verfärben sich dunkel und sterben ab. Prima Idee, lachte Viktor. Kommen Sie bitte am Freitag um neunzehn Uhr. Ich werde Sie Silvia vorstellen. Du hast einen Hang zum Risiko, versetzte Moira. Überhaupt nicht, sagte Viktor, ich nutzte Gelegenheiten, die sich anbieten.
Das gefällt mir, Sir.
Ich meinte damit nur, liebe Moira, dass eine Stelle frei wird, und da ich einen Menschen kenne, der eine Arbeit sucht und ähnliche Kompetenzen aufweist, liegt die Angelegenheit auf der Hand, falls diese Person …
Ich träumte immer von einem Chef, der sich so umständlich ausdrückt, unterbrach Moira, so was stimuliert mich total. Wir müssen aber die finanzielle Seite der Angelegenheit besprechen, kannst du mir einen oder besser zwei Monatslöhne vorschießen? Dann könnte ich schon eine Wohnung suchen und die alte Hexe verlassen. Die hat sich mit ihrem Sohn versöhnt, ich kann guten Gewissens diese Hirsche unter sich lassen.
Sie fürchten sich vor nichts, sagte Viktor. Sie sind zuerst nur auf Probe bei uns. Schön, erwiderte Moira, dann probe ich mal morgen das Siezen mit dir. Vielen Dank, Herr Doktor Weber. Ich freue mich auf morgen … Muss Ihre bewährte Assistentin unbedingt dabei sein?
21
H enrietta fuhr zum Golfplatz. Sie wollte ihn wieder überraschen. Wer weiß, mit wem er sonst nach Hause käme, mit den Nachbarn, mit denen er auch hinfuhr, die aber meistens länger blieben als er, vielleicht hatte er sich mit der Schwarzen verabredet. Sie, Henrietta, sollte ihn doch immer dorthin begleiten, auch wenn sie diesen Sport idiotisch fand. Was hatte der harte Ball so Magisches an sich und inwiefern lohnten sich die Mühe und die langjährige Übung, die man brauchte, um das weiße Ding in das winzige Loch zu bekommen? Sie spielte auch kein Tennis, kleinkariert oder pervers fand sie sowieso jedes Spiel auf einem eingezäunten Grundstück. Das komme von den Erzählungen ihres Vaters, des Gefängniswärters, der ihr die Ballspiele und Laufrunden der Gefangenen hinter den Mauern in düsteren Farben beschrieb, behauptete ihr Mann damals. Sie verabscheute auch Gesellschaftsspiele. Bornierte Leute mögen keine Spielregeln, alles, was beschränkt und begrenzt, hält ihnen einen Spiegel vor, spottete der heutige Gert. Sie überhörte einfach seine boshaften Erörterungen über die Übereinstimmung »einer eingequetschten Seele« mit den eingeengten
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