Der Gesang der Haut - Roman
im Taunus oder in den bayerischen Alpen biwakierten. Sie schauten zum bestirnten Himmel und rissen grobe Witze, um ihre Rührung über die Schönheit des Augenblicks zu verbergen, bliesen das Lagerfeuer aus, schlüpften in ein kleines Zelt. Morgens hängten sie sich den Rucksack um, ein unbeschreibliches Gefühl, sein echtes Zuhause jetzt auf dem Rücken zu haben, um weiterzuziehen. Es war die wunderbare liebeslose Zeit, die Zeit der Freundschaft, der Komplizenschaft, des Mannseins, der gewagtesten Erwartungen, ohne dass ein schnippisches Mädchen einen zur Schnecke machte, ohne dass man als Spross von Jahrhunderten machohaften Generationen, als Sohn des Doktors und der Frau Doktor Sowieso, als Verlobter der Sängerin Klara, als Bruder eines Neurotikers, als Chef von zwei Angestellten, als Arzt von zig Patienten sich rechtfertigen musste. Er wurde rot, als hätte er über diese Erörterungen vor einem gefüllten Saal am Mikrofon schwadroniert.
Er traf die beiden Frauen, die sich lebhaft vor dem Computer unterhielten. Sie können gehen, Silvia, ich kümmere mich jetzt um Frau Sanderia. Vielen Dank, dass Sie noch geblieben sind. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
Ich weiß nicht, sagte Moira, ob ich dich beruflich befriedigen kann. Ich müsste eine Menge lernen.
Sie werden das tun, sagte Viktor und lächelte vor ihrem ernsten Gesicht. Wenn Sie sich entschieden haben, können Sie schon jetzt unterschreiben. Ich habe den Vertrag vorbereitet.
Du bist ein Mann der Tat.
Sie können am nächsten Montag anfangen.
Sie folgte ihm und unterschrieb den Vertrag, ohne ihn zu lesen. Und noch eins, stotterte dann Viktor, wir hören mit dem Flirt auf. Nichts ist unheilversprechender als eine Affäre innerhalb eines Arbeitsverhältnisses.
Nichts aber ist spannender, Herr Doktor. Ich lass mich übrigens nicht wie ein Pferd einspannen, um zu pflügen, wo man mir befiehlt. Sie können mich beruflich lenken, meine Gefühle leider nicht regulieren.
Moira, sagte Viktor, Ihr Geschmack für schiefe Bilder ist charmant, aber meine Freundin kommt in einer Woche.
Ich aber bin schon da, Herr Doktor. Wenn deine Freundin dich echt lieben würde, stünde sie schon auf der Matte.
Sie irren sich, Moira, heutzutage, in unserem Land, ist niemand der Sklave seines Partners, jeder hat ein eigenes Leben, eigene Pflichten, die er wahrnehmen muss.
Deine Neigung für unterschwellig rassistische Bilder ist amüsant. Wer liebt, Herr Doktor, besitzt mehr als berufliche Pflichten und einen hübschen Sopran, er hat eine Berufung. Eine innere Bassstimme zieht ihn zu dem Ort seines tiefen Glücks. Anscheinend seid ihr ein müdes Paar.
Wir sind ein vernünftiges Paar. Wir haben ein Herz, aber auch einen Kopf.
Dann fehlt doch Wesentliches: Geschlecht und Seele.
Moira war aufgestanden und, nachdem sie ein paar Schritte im Raum gemacht hatte, setzte sie sich auf den Schreibtisch und schaute Viktor in die Augen.
Ich weiß, dass Sie mich nicht lieben, Herr Doktor, ich weiß, dass Sie ein konservativer, lieber, anständiger junger Arzt sind, einer, der Gutes tun will, Ihr Land, Ihre Erziehung, Ihr deutsches Leben hat aus Ihnen einen zivilisierten und korrekten Menschen gemacht, aber Sie sind auch ein anderer, und wenn ich mit meinen Nägeln diese heuchlerische Oberfläche ankratze, sehe ich einen ganz anderen Text, wie bei den alten Manuskripten, wie heißen sie noch, Palimpseste.
Heuchlerisch?
Hm. Verdrängend, blind.
Ich bin, wie ich bin, Moira.
Eben nicht. Sie stecken noch im Geschenkpapier. Kommen Sie heraus!
Moira nestelte an seiner Krawatte, die sie gekonnt lockerte.
Sie suchen schwach nach dem Wahren und verharren noch im Angelernten, Herr Doktor. Persönlich finde ich das Leben zu kurz, um sich derartig in müden Sphären zu langweilen. Deshalb küsse ich Sie jetzt ganz kurz, bevor ich gehe.
Sie bückte sich, verlor dabei das Gleichgewicht und fiel dem sitzenden Viktor halb in den Schoß. Unterbrach nur kurz den Kuss, um hinzuzufügen: Sorry, es sieht wie in einer blöden Komödie aus, wo die Sekretärin oder Sprechstundenhilfe quer auf dem Schreibtisch und der bedrängte Chef … Viktor erwiderte aber schon den Kuss, und sie saß rittlings und gemütlich auf seinen Knien. Er spürte ihren Hals, den Ansatz ihrer Brüste an seinem Hals, ein warmen Schal des Glücks, er erwiderte nicht nur den Kuss, sondern alle ihre Liebkosungen, alles gab er zurück und holte sich mehr, bis sie beide hüllenlos standen und er die Initiative übernahm,
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