Der Gesang der Haut - Roman
schaute. Neue Vorhänge bringen einer unzufriedenen Frau keine Zufriedenheit, grinste er, nagelneue Gardinen erhellen nicht deine Sicht auf die Dinge des Lebens, meine arme Henrietta. Sie wehrte sich: Ich gebe es zu, ich würde lieber den Mann tauschen als die Gardinen. Rideau!, lachte Gert und ließ theatralisch einen Vorhang herab. Mit dieser Replik konnte sich jeder abfinden.
Sie brachte den Wäschekorb in die Waschküche und schaute auf die welligen, staubigen Stoffmassen, als sich ein anderes Bild darüber schob: ein Brautschleier, Wogen von Spitzen und Organza. Abends im Hotel des ersten Hafens hatte sie sich im Spiegel des Kamins betrachtet. Ihr Gesicht sah sie zwischen zwei schwarzen Hunden, Marmorwerke, die sie abscheulich fand. Sie schnitt ihnen Grimassen. Dein Gesicht kannst du nicht umtauschen, sagte Gert, der hinter ihr stand und ihre Brüste in den Händen wiegte, nimm es, wie es ist. Das kleine hässliche Mädchen erschien, das in einer kalten Diele lief, spürte seine nackte Haut unter dem Rock, seine dünnen Beine, die weiterlaufen sollten, denn es war Gefahr im Verzug. Sie spürte das Geräusch schwerer Schritte hinter sich, den Atem von Wölfen, die hinter jeder Tür lauerten und vor Gier heulten, wenn sie ein Kind witterten.
Er seufzte, als sie hereinkam. In der Glotze ist nur Mist, sagt er, eine Arztserie kannst du dir antun, wenn du willst. Ich gönne es dir, mein Schatz. Nein danke, sagte Henrietta. Und er: Wieso? Ich schwöre, dass ich nicht jede Minute sage, was im Film falsch läuft. Er zündete sich eine Pfeife an. Es stieg eine kleine, süßlich riechende Wolke auf. Er reckte sich etwas, streckte das Kinn vor, schloss wohlig die Augen, als aalte er sich in der Sonne. Das Leben ist schwer in Ordnung, sagte er, du brauchst dir keine Sorgen zu machen, alles wird gut. Sie setzte sich ihm gegenüber und kicherte: Schwer in Ordnung? Sie erriet sein Lächeln in der Rauchwolke, schnüffelte daran, spürte seine gute Laune. Wie intim sie doch sein konnten! So gut hätte er es jetzt bei keiner anderen Frau. Sie war ihm immer treu geblieben, auch in ihren Gedanken, alle anderen Männer langweilten sie zutiefst. Sie hatte bisher jeden potenziellen Viktor übersehen. Und als hätte er ihre Gedanken geraten: Manche Leute, sagte er, dürfen nicht mehr zu Hause rauchen, sie müssen auf den Balkon, was für eine schlimme Epoche, nicht wahr? Eine dumme kleine Epoche. Sie wiederholte seine Worte, ja, eine dumme kleine Epoche, ihr Blick haftete auf der langen Bücherwand hinter seinem Schaukelstuhl, eine reich bestückte Bibliothek, in der sie beide lange nicht mehr gestöbert hatten. Wir müssten unbedingt wieder mal ein gutes Buch lesen, sagte sie. Er ließ die Pfeife eine Sekunde ruhen: Du hast aber Mühe, die Tageszeitung zu Ende zu lesen. Alles wiederholt sich doch, sagte sie, von Jahr zu Jahr, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, Krisen, Flugzeugunfälle, Umweltkatastrophen, Attentate am laufenden Band! Ja, sagte er, du hast recht. Sollen wir die blöde Zeitung also abstellen? So sanft war seine Stimme lang nicht mehr gewesen. Er lächelte amüsiert: Ich schreibe der Redaktion, dass wir einer Zeitung mit so viel schlechten Nachrichten kündigen. Wie jung er aussah, ein Schelm, ein liebenswerter Strolch. Und der Wunsch überkam sie, diesen Augenblick festzuhalten. Ich möchte, sagte sie, vor deinem Fest meinen Fotoapparat testen, ich mache jetzt mal ein paar Schnappschüsse. Ach nee, Henrietta, antwortete er, die liebe Moira hat mich in der letzten Zeit so oft gefilmt und fotografiert, dich übrigens auch, manchmal sogar hinter deinem Rücken, lass es lieber gut sein. Die Worte von Gert wurden von neun Schlägen der Pendeluhr begleitet. Henrietta presste die Fäuste zusammen, runzelte die Stirn: Sie konnte mit der Kamera der Negerin nicht konkurrieren, nein, wie dumm und nichtig ihr Vorschlag gewesen war. Ich gehe dann ins Bett, sagte sie.
23
F risches Licht flutete herein, er sah ein Spinnennetz am Fenster glänzen, in der Mitte eine erstarrte Spinne, gelb und schwarz, ein Kunstwerk. Das Telefon klingelte. Klara meldete sich. In diesem Moment wurde aber die überpünktliche Moira von Silvia in Viktors Sprechzimmer gebracht. Viktor hob nur kurz den Blick, der zuerst von Moiras kariertem, braven Rock gefangen wurde, sich flott über die weiße Bluse (knapp dezentes Dekolleté) zum Gesicht wagte, um sich schnell abzuwenden. Ein Moment, Schatz, sagte er in die Sprechmuschel, und mit veränderter Stimme: Ach,
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