Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
seelenlosen Betonwürfels. Es stank nach Abgasen, Benzin und Gummi. Er horchte. Ein Motorengeräusch war nicht zu hören, ebenso wenig flüchtende Schritte. Doch hinter ihm fiel die Tür klackend ins Schloss. Er eilte zurück, drückte dagegen. Sie ließ sich nicht öffnen Das durfte nicht wahr sein. Tagsüber ging es hier zu wie im Taubenschlag, und nachts, wenn man hier durchmusste, stellte sie eine unüberwindbare Hürde dar.
Kilian gab auf. Zurück ins Theater konnte er jetzt nicht mehr. Die Garagentür war die einzige Möglichkeit gewesen. Das musste auch der Einbrecher gewusst haben, sonst hätte er unter Umständen einen anderen Fluchtweg gewählt.
Was hatte er nur in diesem Zimmer mit den Perücken und Schminksachen verloren?, fragte sich Kilian. Alle anderen Türen waren verschlossen. Er musste Zugang zu dem Raum haben, die Tür war nicht aufgebrochen.
Morgen würde er der Sache nachgehen. Für heute hatte er genug. Er ging die paar Schritte zum Ausgang der Tiefgarage hinaus auf die Straße. Sie war menschenleer. Kein Auto, kein Bus und keine Nachtschwärmer kreuzten seinen Weg zurück ins Hotel. Er war gespannt, ob sein Zimmer, das neben Raimondis, noch für ihn gebucht war.
Einzig die Aussicht auf ein Bett hinderte ihn daran, auf der Stelle umzufallen.
23
Kilian erwachte an diesem Morgen mit Kreuzschmerzen und dem unaufhörlichen Klingeln eines Telefons. Schlechter konnte ein Tag kaum beginnen. Er beugte sich nach vorn und massierte mit seinen beiden Händen den geschundenen Rücken, so gut er konnte. Verdammte Couch, sie diente mehr der Optik als der Bequemlichkeit.
Sein Kollege Klaus, der mit ihm die vergangenen Tage Raimondi bewacht hatte, saß bereits beim Frühstück. Er blätterte in der Tageszeitung nach neuen Meldungen über die Inszenierung des
Don Giovanni
.
»Morgen, Kilian«, sagte er. »Kaffee, Brötchen, Marmelade? Ich habe für zwei decken lassen.«
»Geschenkt«, raunzte Kilian zurück.
Er stand auf, machte sich gerade. Ein zweimaliges Klacken in der Wirbelsäule stellte die alte Ordnung wieder her.
»Was macht unser Klient?«
»Der hängt seit sieben Uhr am Telefon. Sonst ist alles ruhig.«
»Und der Schorsch? Hat der schon angerufen?«
»Logo. Ich hab ihm aber nicht gesagt, dass du mitten in der Nacht hier aufgetaucht bist und übernachtet hast. Das braucht er nicht zu wissen.«
»Danke.«
»Du musst dich aber beeilen. Er sagte, er wolle in ’ner halben Stunde hier sein.«
Kilian blickte kurz in Raimondis Zimmer. Jener lag lässig auf dem Bett mit dem Telefon am Ohr. Als er Kilian sah, lächelte er.
Kilian antwortete nicht, sondern schlurfte weiter ins Bad. Eine warme Dusche würde ihn besser gelaunt in den bevorstehenden Tag schicken. Während ihm das Wasser über den Körper lief, dachte er an die vergangene Nacht. Wer war der Einbrecher gewesen? Hatte er gefunden, wonach er gesucht hatte? Wie war er überhaupt ins Theater gelangt, und wieso war die Tür zur Perückenwerkstatt nicht verschlossen?
Und, vielleicht am wichtigsten, hatte der Einbruch mit den Ermittlungen zu tun?
Kilian würde sich gleich nach der Dusche darum kümmern. Raimondi war bei seinem Kollegen in guten Händen. Zudem legte er keinen großen Wert darauf, Heinlein über den Weg zu laufen.
Nach zwei schnell heruntergekippten Tassen schwarzen Kaffees und einem Zigarillo steuerte Kilian auf den Bühneneingang zu. Er sah es bereits von weitem. Die ganze lange Seitenfront des Theaters war mit Lkws verstellt. Auf ihnen prangte das Logo des ZDF. Kilian zwang sich an Technikern vorbei durch den Bühneneingang. Auf dem Flur im Erdgeschoss schlängelten sich Kabel die Wand entlang und führten zum Großen Saal. In einem der Besprechungszimmer wurden Monitore aufgebaut, in einem anderen tüftelten Techniker an Mikrophonen herum, die an der Bühne angebracht werden sollten.
Kilian nahm die Treppe hoch in den dritten Stock. Die Glastür machte wieder dieses Geräusch wie in der Nacht zuvor. Sie musste sich ein wenig gesenkt haben, da sie beim Hinund Herschwingen mit der Metalleinfassung am Türstock kratzte.
Er ging weiter bis zu dem unverschlossenen Raum. Die Tür stand offen. Ein Mann, groß gewachsen, breite Schultern und dunkles Haar, war über eine der Ablageflächen gebeugt.
Kilian klopfte an den Türrahmen. »Guten Morgen.« Der Mann fuhr aufgeschreckt herum. »Meine Güte, haben Sie mich erschreckt.« Er hielt sich demonstrativ eine Hand an die Brust, die offensichtlich sein Herz beruhigen sollte.
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