Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
Stunde zurück sein würde. Doch Raimondi zeigte wenig Interesse für ihn, umso mehr für den Anrufer. Ein Siegeslächeln erhellte sein Gesicht.
»Sie faxen mir dann umgehend den Vertrag?«, sprach er in den Hörer. Das Gegenüber schien zu bestätigen, dann legte es auf.
»Die Sender Arte und 3sat haben sich geeinigt«, erklärte er, »sie übertragen live. Damit haben wir alle deutschsprachigen Länder und Frankreich. Die internationalen Verwertungsrechte sind auch im Kasten. Das läuft gut, sehr gut sogar.«
Er strahlte Kilian an, eine Mischung aus ehrlicher Freude und geschäftsmäßigem Understatement. »Fehlen nur noch die Sponsoren.«
»An wen haben Sie dabei gedacht?«, fragte Kilian.
»Eine international tätige Modefirma, Hersteller von Kommunikationsgeräten, so was in der Art«, antwortete er beiläufig.
Noch bevor Kilian nachhaken konnte, wofür er diese Unternehmen denn brauchte, klingelte eines seiner Telefone.
»Vivienne«, er bebte fast in Erwartung einer positiven Antwort, fasste sich aber schnell wieder.
Am anderen Ende schien die Chefin zu sein, es ging um Mode, die die Darsteller auf der Bühne tragen sollten, so viel entnahm Kilian den aufgeschnappten Sätzen. Eine englische Firma, Vivienne Westwood. Er schien sie gut zu kennen, so vertraut und freundschaftlich war der Ton.
Kilian ließ ihn allein und machte sich auf den Weg ins Theater, um diesen Tenor Steven Vanderbuilt zu befragen. Draußen auf dem Gang sagte er dem Kollegen Bescheid, dass sie sich mit Raimondi zu Probenbeginn im Großen Saal wieder treffen würden.
Die paar Schritte zum Theater waren schnell gegangen. Als Kilian auf den Bühneneingang zusteuerte, fielen ihm die auf den Gehsteigen geparkten Presseautos auf. Vor dem Fenster des Pförtners war jedoch Endstation für die Presseleute. Sie bestanden auf Informationen, schon bevor Heinleins Pressekonferenz begann. Ein sichtlich überforderter Pressesprecher hatte alle Mühe, die ungehaltenen Kollegen zu besänftigen. Er hatte Anweisung, keine Informationen herauszulassen, stattdessen auf die Pressekonferenz zu verweisen. Dort würden sie den aktuellen Ermittlungsstand erfahren.
Soweit Kilian sehen konnte, war der Journalist von der Frankfurter Allgemeinen nicht unter ihnen. Mit ihm würde er auch noch ein Wörtchen sprechen. Er wollte dessen Quelle herausfinden, gerade im Hinblick darauf, wer welches Spiel in dieser Inszenierung spielte.
Der Pförtner ließ Kilian passieren, er kannte ihn mittlerweile. Er sagte ihm, dass er nicht wisse, ob Vanderbuilt bereits im Hause sei und ob er heute überhaupt Probe hatte. Kilian solle den Probenplan hinter der Tür zum Treppenhaus im Erdgeschoss einsehen. Darauf sei alles verzeichnet. Er folgte dem Ratschlag und fand nach einigem Suchen Vanderbuilts Disposition. Er war für den
Don Giovanni
um zwölf Uhr eingetragen. Jetzt war es knapp neun Uhr. Um zehn wollte er wieder hier sein, um Raimondi vor weiterem Unglück zu schützen.
Der Pförtner schickte Kilian abermals weiter ins KBB, wo er die Privatadresse bekommen würde. Die Herrschaften dort waren nicht so auskunftsfreudig, wie er es sich erhofft hatte. Privatadressen und Telefonnummern der Künstler weiterzugeben schien nicht an der Tagesordnung zu sein. Erst ein kurzes Gespräch zur Rückversicherung mit dem Intendanten erbrachte die gewünschte Information.
Kilian kannte die lang gezogene, enge Straße, in der Vanderbuilt zur Untermiete wohnte, gut. Die Semmelstraße, in der alljährlich am 24. August die Zwiebelkirchweih als Straßenfest gefeiert wurde, erreichte er in wenigen Minuten.
Das Fest war der abschließende Teil einer viertägigen Wallfahrt, die jedes Jahr am 20. August morgens um vier Uhr von Neumünster aus startete und zum rund einhundert Kilometer entfernten Kreuzberg, dem Berg der Franken, führte. Seit dem Jahr 1600 hielt sich diese Pilgerfahrt hartnäckig im Kirchenleben der Würzburger. Um die fünfhundert Wallfahrer nahmen an dem gebetsreichen Weg teil, der sie am Ende mit der Zwiebelkirchweih, an der Zwiebelkuchen, Bratwürste, Wein und Bier angeboten wurden, belohnte.
Kilian erinnerte sich gut daran. Einmal war er die Strecke als Halbwüchsiger mit seiner Mutter gelaufen. Der letzte Aufstieg am Kreuzberg, die so genannte Kniebreche, kurz vor Erreichen des Ziels nach einhundert Kilometern, hatte jeden Gläubigen auf die Probe gestellt. Wer es schaffte, hatte das süffige Kreuzberger Bier aus Eigenproduktion der dort lebenden Mönche verdient. So auch,
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