Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
Vorfall führten, als sonderlich geheim einstufte, sondern weil er die öffentliche Gerüchteküche nicht noch zusätzlich anheizen wollte. Und die kochte fast über. Der Artikel, der unter der Überschrift Tödliche Inszenierung auf der heutigen Titelseite erschien, griff tief in die Kiste der Spekulation. So sah der Autor eine zwingende Verbindung zwischen dem Tod Sandners und dem des verstorbenen Kollegen des Blattes, bis hin zum ersten und zweiten Anschlag auf Raimondi. Die Sache gipfelte darin, dass es das Mainfrankentheater darauf abgesehen habe, die eigene Inszenierung zu torpedieren, und dies unter den Augen der örtlichen Ermittlungsbehörden. Kilians Name fiel zwar nicht expressis verbis, aber ein klarer Hinweis unterschob ihm, Heinlein und den gesamten Polizeikräften Würzburgs Unfähigkeit, einen Weltstar zu schützen und die beiden Todesfälle aufzuklären.
Kilian wurde das Gefühl nicht los, dass der Schreiber nicht ganz Unrecht damit hatte. Die Ermittlungen Heinleins zur Herkunft der Tatwaffe und Kilians Schutzaufgabe kamen nicht voran. Sie hockten wie Kaninchen vor der Schlange und warteten darauf, dass etwas passierte, anstatt den Fall aufklären zu können.
So sahen es auch der Polizeipräsident, die Oberbürgermeisterin, einige Lokalpolitiker, Freunde des Hauses und Sponsoren des Mainfrankentheaters. Seit diesem Morgen um sieben Uhr klingelte das Telefon unablässig. Von jedem musste sich Kilian den Vorwurf der Untätigkeit und der Unfähigkeit anhören, ohne dass er ein schlagendes Argument des Widerspruches vorbringen konnte.
Heinlein sah sich nach einem Rapport beim Polizeipräsidenten gezwungen, eine Pressekonferenz zum Stand der Ermittlungen einzuberufen. Er habe nicht viel zu berichten, antwortete er ihm, die Ermittlungen seien in vollem Gange und es wäre schlicht zu früh, das Bisherige zu veröffentlichen. Der Polizeipräsident ließ nicht mit sich reden. So bat Heinlein Kilian um Hilfe.
Es hatten sich beim Pressesprecher der Polizeidirektion neben den lokalen und regionalen auch landesweite und ausländische Medien gemeldet, und Heinlein hatte einen mächtigen Bammel. Vor so viel Zuhörern hatte er noch nie gesprochen. Er bat Kilian, für ihn einzuspringen, doch der lehnte ab. Er hatte wenig Lust, sich anstelle Heinleins als Zielscheibe bohrender Fragen zu präsentieren.
Woher das plötzliche überregionale Interesse kam, konnte niemand sagen. Die Sache hatte eine Eigendynamik entwickelt, und jeder Bericht und jede Stellungnahme beflügelten die öffentlichen Spekulationen um die Ereignisse am Mainfrankentheater noch mehr. Kilian konnte nach seinem gestrigen Gespräch mit dem ehemaligen Intendanten der Dresdner Semperoper Raimondi als Initiator dieses Medienrummels nicht mehr ausschließen. Sofern er dem Intendanten glaubte, war Raimondi soeben im Begriff, wieder Öffentlichkeitsarbeit für eine seiner Inszenierungen zu betreiben.
Was er auch nicht außer Acht lassen durfte, waren andere Verdachtsmomente. Darunter fiel eine mögliche Racheaktion. Er dachte an diesen Tenor, Steven Vanderbuilt. Er war am Haus engagiert, hatte Zugang zu allen Einrichtungen und vor allem ein Motiv. Kilian würde sich ihn vorknöpfen.
Danach wartete die Inspizientin Jeanne auf ihn. Sie hatten vereinbart, gleich am Vormittag der Ursache der seltsamen Fehlfunktion am Schaltpult auf den Grund zu gehen. Die geheimnisvollen Durchsagen wurmten sie nachhaltig. Niemand wollte ihr einen Streich gespielt haben, versicherten ihr die Kollegen, die Zugang zur Anlage hatten. Jeanne sprach von einem Hacker, der sich von außen Zugang in das computergesteuerte System verschafft haben musste. Anders war es für sie nicht erklärbar. Der technische Service würde das überprüfen.
Erneut klingelte ein Telefon. Aus dem angrenzenden Hotelzimmer drang durch die offen stehende Verbindungstür das stete Schnurren des Faxgerätes und das Gebimmel dreier Telefone herüber.
Raimondi hatte es sich mit einem Stützverband um die Rippen auf dem Bett bequem gemacht und führte seit heute Morgen Verhandlungen mit Sendeanstalten, Unternehmen und Sponsoren.
Kilian machte sich fertig, um zuerst Jeanne und dann Steven Vanderbuilt aufzusuchen. Raimondi wollte er Bescheid geben, dass vor der Tür ein Beamter zu seinem Schutz abgestellt war. Er würde sie die verbleibenden Tage bis zur Premiere unterstützen.
Kilian klopfte gegen den Türrahmen, Raimondi blickte auf, während er telefonierte. Kilian machte Zeichen, dass er in einer
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