Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
umherfahrenden Bühnenteilen virtuos, immer den Blick auf das Loch der Drehbühne gerichtet, die nun nach oben fuhr und ein rotes Sofa zum Vorschein brachte.
Was sich den Anwesenden zeigte, war ein Setting, wie man es aus Talkshows kannte. Mittelpunkt war das Sofa, das die Gäste aufnehmen sollte. An den Seiten waren Wände aus Papier angebracht, die wie Paravents mit einem Handgriff umgestellt werden konnten. Auf ihnen waren abwechselnd die Umrisse eines Friedhofs und einer mittelalterlichen Stadt zu erkennen.
Kilian setzte sich in die erste Reihe der Zuschauerränge, Raimondi nahm auf dem roten Sofa Platz. Ein Zeichen wies die Lichttechniker an, die Bühne in wechselnde Stimmungen zu tauchen. Von Rot auf Blau, von Grün auf Weiß, dann hell, dunkel, den Spot auf Raimondi, zum Schluss ein Lichtgewitter, das man aus TV-Shows kannte. Über Raimondi wurden einzelne Bühnenelemente heruntergelassen und hochgezogen. Kilian bekam ein mulmiges Gefühl, da er nicht wusste, wer da die Hand im Spiel hatte. Wie schnell konnte es passieren, dass einer dieser Bauten sich verselbständigte und einen der Bühnenarbeiter oder Raimondi unter sich zermalmte.
Doch irgendwie schienen alle blindes Vertrauen in die Kollegen hinter und oberhalb der Bühne zu haben. Jeder ging seiner Arbeit nach, ohne auf den Luftverkehr zu achten.
Als Raimondi ausgeleuchtet war, stand er auf und ließ die Bühne nach unten fahren. Jeannes scharfes Kommando sorgte dafür, dass alle von dem aufklaffenden Loch in der Bühnenmitte zurücktraten. Raimondi blieb seitlich des Schlundes stehen, blickte hinunter und gab den Technikern im Untergrund Anweisungen.
Vom Schnürboden senkte sich eine Querstange, die kein Bühnenbild trug, herab.
Kilian wusste nicht, welche Bedeutung diese nackte Stange von rund fünf Meter Länge in der Inszenierung hatte, sie kam ihm etwas plump und überflüssig vor.
Offensichtlich keine große, denn sie wurde von Jeanne, den Arbeitern und Raimondi schlicht ignoriert.
Allmählich kam Bewegung ins Spiel. Langsam schneller werdend, pendelte sie von vorn nach hinten, reichte nahe an das Loch heran. Was diese Bewegung verursachte, konnte Kilian nicht sagen. Es musste vom Schnürboden ausgehen. Die herrenlose Querstange pendelte immer stärker, ihr lang gezogener Luftzug fand jetzt die Aufmerksamkeit Jeannes. Sie stutzte, stand von ihrem Inspizientenplatz auf und ging ein paar Schritte nach vorn, um sich Klarheit zu verschaffen.
Die Querstange hatte nun ihre maximale Schwingweite erreicht. Jeanne, die Hände in die Hüfte gestützt, blickte nach oben, zwinkerte gegen das helle Licht an.
Kilian erkannte, dass sich Raimondi gefährlich nahe im Schwingkreis der Stange bewegte. Er sah sie nicht, sprach noch immer nach unten.
Sie zog hauchdünn an ihm vorbei, er spürte den Luftzug, hob den Kopf und blickte direkt in den Querbalken, der in seine Richtung zurückschwang. Dumpf erwischte es Raimondi. Es hob ihn aus dem festen Stand, und er fiel rücklings in das Loch. Kilian hörte den dumpfen Aufprall des Körpers.
Alles war direkt vor seinen Augen geschehen, ohne dass er etwas dagegen hätte unternehmen können.
13
Wie war er nur so schnell an die Informationen gekommen?
Der Journalist der Frankfurter Allgemeinen, der in ihrem Hotel Quartier bezogen hatte, beschrieb in seinem Artikel detailgenau die Umstände des gestrigen Unglücksfalls; sofern man von einem Unfall überhaupt sprechen konnte.
Kilian hatte da seine Zweifel, der Journalist auch. Er berichtete von den Vorkommnissen, als sei er dabei gewesen, was natürlich nicht der Fall war. Außer Kilian, Raimondi, Jeanne und den Arbeitern hatte sich niemand im Großen Saal befunden. Er musste also seine Informationen von jemandem bekommen haben, der mit dabei gewesen war. Von Raimondi? Das war unwahrscheinlich. Nach dem Zusammenprall mit der herrenlosen Querstange und seinem Sturz in die Tiefe, gottlob landete er auf dem roten Sofa, war Raimondi kurzzeitig die Luft weggeblieben, aber er hatte sich keine Brüche zugezogen.
Kilian war die ganze Zeit bei ihm gewesen, von der Ankunft der Sanitäter bis zur Fahrt ins Krankenhaus und von dort in der Nacht zurück ins Hotelzimmer. Der Journalist hatte Wind davon bekommen, aber Kilian wies ihn in die Schranken, als er mit ihnen den Krankenwagen besteigen wollte.
Blieb also nur Jeanne übrig oder einer der Bühnenarbeiter. Kilian sah sich gezwungen, diesen Informationsfluss zu unterbinden. Nicht etwa, weil er die Umstände, die zu dem
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