Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
für Ihren warmherzigen Applaus. Doch nicht ich bin es, den es zu feiern gilt. Ihnen, Frau Oberbürgermeisterin, wollen wir heute unsere Glückwünsche aussprechen. Auch wenn dieser Tag für uns am Mainfrankentheater nicht zu den erfreulichsten gehört, so wissen wir, dass Sie uns bisher mit allen Kräften unterstützt haben und dies auch in Zukunft tun werden.«
Der Beifall der Gäste, unter ihnen Lokalprominenz, aber auch zahlreiche Künstler des Theaters, unterstrich ihre Worte. Die Oberbürgermeisterin bedankte sich ihrerseits und hob das Glas zum Anstoßen.
Doch Aminta hatte noch eine Überraschung parat.
»Nicht so oft gelingt es uns, einen Star, eine wirklich große Stimme der Oper, in unserer Stadt begrüßen zu dürfen. Er hat sich bereit erklärt, den
Don Giovanni
zu inszenieren, nachdem das Haus den schmerzlichen Tod von Fred Sandner zu beklagen hat. Er ist heute hier und möchte Ihnen mit mir zusammen ein kleines Ständchen bringen. Meine Damen und Herren, begrüßen Sie den einzig wahren, unübertroffenen
Don Giovanni
– Francesco Raimondi.«
Mit dem Applaus trat er auf das kleine Podium zu ihr und verneigte sich.
Ein Moment der stillen Erwartung und Sammlung folgte, bis die Violinen das Duett Bei Männern, welche Liebe fühlen aus der Zauberflöte anstimmten. Es war eine getragene, gefühlvolle Ballade, die Aminta und Raimondi ausgesucht hatten. Aminta begann, wenig später stimmte Raimondi ein, bis sie schließlich im Duett die Liebe zwischen Mann und Weib priesen. Ihre Stimmen, der Sopran und der Bariton, harmonierten und führten ein Liebesspiel, das weit jenseits der gesungenen Worte reichte. Jeder im Raum spürte das.
Kilian blickte um sich, ob Batricio, Amintas Manager, auch anwesend war. Eine weitere Eskalation wäre die zwangsläufige Folge gewesen. Doch er sah ihn nicht. Zu seiner Überraschung fehlte auch Heinlein, den er als leitenden Dezernatsleiter an diesem Ort erwartet hätte.
Das Duett endete in einer Umarmung. Wange an Wange verklang der letzte Ton des Liebesliedes. Frenetischer Applaus folgte. Raimondi stand auf und überreichte der Oberbürgermeisterin eine Rose. Sie bedankte sich und war die Erste, die eine Zugabe verlangte. Aminta verließ vorsorglich das Podium.
Raimondi wehrte sich vergebens. Der Beifall hielt an. Mit Verweis auf das Büfett gab er schließlich nach und machte den Musikern Zeichen, die das passende Stück schon auf dem Notenständer hatten.
Raimondi, ganz im Zauber seiner frühen Erfolge, nahm Position ein. Breitbeinig, den Arm erhoben, lud er die Gäste zu Trank und Tanz ein. Die Paradenummer des
Don Giovanni
schlechthin, die Champagnerarie
Fin ch’han dal vino, calda la testa
12 , erklang schwunghaft und stimmgewaltig. Raimondi hatte in den vergangenen Jahren nichts an Ausdruck und Klasse verloren. Das Volumen seiner Stimme nahm den Saal und mit ihm die Hörer ein, wie ein Sturzbach, der zu Tale rauscht, alles mit sich reißend.
Die letzten Worte dieses furiosen Ritts, morgen früh, sollst du die Liste um zehn Namen erweitern, verstand Kilian nur zu gut. Er fragte sich, wer neben Aminta die anderen neun Damen waren. Wenn er unter den weiblichen Gästen umherblickte, so konnte er mindestens fünf Frauen entdecken, die an Raimondis Lippen klebten und sich nur zu gerne auf seine Liste setzen ließen. Die Souveränität und Kraft, die Raimondi als
Don Giovanni
verströmte, ließ Kilian daran zweifeln, ob der Japaner Takahashi die Erwartungen des Publikums würde erfüllen können; nicht, nachdem man Raimondi hatte singen hören. Es war wie bei gutem und schlechtem Wein. Schenke niemals den guten zuerst aus.
Nachdem die letzte Zugabe und der Beifall verklungen waren, kehrte die Gesellschaft zum üblichen Palaver bei Festempfängen zurück. Aber alle Gesprächsrunden beherrschte das Thema des heutigen Vormittags – die drohende Schließung des Mainfrankentheaters.
Raimondi war im Gespräch mit der Oberbürgermeisterin und Aminta. Als er Kilian kommen sah, lud er ihn per Handzeichen ein, sich zu ihnen zu gesellen.
»… bedanken möchte ich mich für die persönliche Betreuung durch Herrn Kilian«, sagte Raimondi nicht ohne Ironie.
Die Oberbürgermeisterin merkte auf. Sie hatte Kilian bisher noch nicht kennen gelernt. Sie reichte ihm die Hand, lächelte. »Schön, dass wir uns endlich persönlich treffen. Über das Telefon bekommt man oft einen anderen Eindruck.«
»Ich hoffe, ich enttäusche Ihre Erwartungen nicht«, antwortete Kilian gelassen.
»In
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