Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
bedeutungsvolle Pause, zumindest zwang er sich einen Ausdruck ins Gesicht, der ein Mehr an Wissen, sprich die Wahrheit, widerspiegeln sollte.
»Ich sage Ihnen nun, was wirklich an diesem Morgen geschah«, begann Heinlein. »Ich glaube Ihnen durchaus, dass jemand von Ihnen beiden vor Reichenbergs Tür auf und ab ging … aber nicht, um eingelassen zu werden, sondern um Schmiere zu stehen.«
»Schmiere?«, fragte Sue ahnungslos.
»Wache«, antwortete Heinlein schroff. »Und ich glaube, dass Sie das waren«, sagte Heinlein zu Sue, »Sie haben Ihrer Freundin den Rücken freigehalten, während sie sich die paar Meter weiter zu Sandners Büro geschlichen hat, den Revolver auspackte und Sandner damit erschoss. Danach haben Sie«, damit meinte er Marianne, »die Spuren verwischt, Sandner den Revolver in die Hand gedrückt und sind schnellstens in den Schutz Ihrer Freundin geflüchtet.«
Marianne und Sue waren einen Moment lang sprachlos. Dann: »Blödsinn! Was sollte ich denn für einen Grund gehabt haben, Freddie zu erschießen?«, fragte Marianne.
»Einen der banalsten: Sie wollten seinen Job.«
»Freddies Job?«, schrie Marianne auf, »den hätte ich auch so bekommen, wenn nicht …«
Heinlein hakte nach. »Ja, wenn nicht …?« Marianne schwieg.
Heinlein griff den unvollendeten Satz auf. »Wenn nicht aus heiterem Himmel Herr Raimondi aufgetaucht wäre. Tja, damit konnten Sie nicht rechnen. Sie hatten geglaubt, dass die Intendanz Sie mit der Regie betrauen würde, jetzt, wo es nur noch ein paar Tage bis zur Premiere sind und das Haus ohnehin finanziell am Abgrund steht. Ja, dieser Gedanke macht Sinn. Nur zu dumm, dass er nicht funktioniert hat.«
Schweigen. Sue griff Mariannes Hand unter dem Tisch fester. Es schien beinahe, dass Heinlein Mariannes Geständnis ausgesprochen hatte, so still und konsterniert saß sie nun da.
In die Stille platzte Benno Führwald. Er ging wortlos an den beiden Frauen vorbei, reichte Heinlein ein Blatt Papier und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Heinlein bedankte sich mit einem Nicken, und Benno verließ das Vernehmungszimmer. Heinlein verlas ruhig die Testergebnisse. Dann blickte er auf.
»Ich glaube, der Zeitpunkt ist gekommen, dass Sie einen Rechtsbeistand anrufen sollten.«
Marianne stand unvermittelt auf, der Stuhl kippte nach hinten um, depperte noch ein paar Schläge auf den Boden.
»Ich war es nicht«, schrie sie. »Ich weiß nicht, was in Ihrem kranken Hirn vor sich geht, aber ich war es nicht. Ich … ich habe ja noch nicht mal eine Waffe.«
»Die Testergebnisse besagen aber etwas anderes«, sagte Heinlein ruhig.
»Was?«, stotterte Marianne.
»Ich weiß noch nicht, wer es von Ihnen beiden war, der die Waffe besorgt hat … vielleicht waren es auch Sie, Frau Ryser, ich denke, Sie pflegen gute Beziehungen zu den amerikanischen Einheiten in der Stadt.«
Sue blickte ratlos drein. »Äh, ja, ich feiere hin und wieder Thanksgiving oder spiele bei einer Geburtstagsparty, aber …«
»Eine Waffe konnten Sie bei Ihren amerikanischen Freunden dennoch nicht besorgen.«
»Nein, was soll das?!«, widersprach Sue heftig.
»Nein, Sie konnten keine besorgen, und ja, Sie haben es versucht. Meinten Sie vielleicht das?«
Sue lief vor Wut rot an. »You fucking son of a bitch …«
»Nun, auch darauf habe ich eine Antwort.« Heinlein blieb ruhig, ganz Profi. »Sie haben einen Tipp von Ihren Freunden bekommen, wo man sich in der Stadt schnell und günstig eine Waffe besorgen kann. Zu Ihrem Leidwesen jedoch geraten Sie dummerweise an eine Waffe, die ein paar Monate zuvor bei einer Schießerei in Würzburg benutzt wurde und deren Spuren weit zu Ihrer Quelle zurückreichen. Wissen Sie, es ist alles dokumentiert.«
»Ah ja?«, fauchte Marianne nun heftig, »und wie soll die Waffe in unseren Besitz geraten sein?«
»Sie haben einen Moment nicht aufgepasst, Sie hätten die Waffe vor ihrem letzten Gebrauch noch gründlicher reinigen sollen, als Sie es bereits taten. Wir haben Spuren von einem Parfüm an der Waffe festgestellt – und wissen Sie was … dieses Parfüm ist bis auf das letzte Molekül mit dem Ihren identisch.«
»Wie soll das möglich sein?«, fragte Sue, plötzlich ruhig geworden und nun interessiert.
»Wir haben Ihre Schweißprobe mit den Spuren an der Waffe verglichen. Das Ergebnis lautet: Die verwendeten Duftstoffe sind die gleichen.«
Langsam regte sich in Sue Widerstand. Sie lachte lauthals. »Mein Gott, diese Duftstoffe können Sie an nahezu jeder Straßenecke
Weitere Kostenlose Bücher