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Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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wie durstig sie
eigentlich war. Erst als sie endlich absetzte, bemerkte sie die himmlische
Ruhe, die hier oben herrschte. Sie schloss einen Augenblick lang die Augen.
»Schön friedlich hier«, murmelte sie.
    Matiu lächelte und deutete auf den Pfad, den sie eine knappe Stunde
vorher verlassen hatten und den man von ihrem Standort aus gut sehen konnte.
Jetzt, am späten Vormittag, hatte er etwas von einer Ameisenstraße. Wanderer
allein, zu zweit oder in Gruppen zogen in Richtung Gipfel. »Wenn du auf diesem
Pfad geblieben wärest, würdest du jetzt nichts von Frieden erzählen. Hier sind
so viele Menschen unterwegs, dass die Naturschützer erwägen, die Anzahl zu
begrenzen. Für das Buschwerk am Eingang des Weges, durch das wir durchgekommen
sind, ist es fast zu viel. Die Leute pinkeln gegen die Büsche, werfen ihren
Müll weg und laufen auch mal auf Pfaden abseits des Haupt-weges. Dafür ist die
Natur hier eigentlich viel zu empfindlich.«
    Katharina nickte, schloss die Augen und drehte ihr Gesicht in die
Sonne. Der Wind streichelte ihre Haut, unter den Fingern spürte sie den warmen
Stein, die Luft roch erdig und leicht schwefelig. »Ein magischer Ort«, bemerkte
sie schließlich leise.
    Matiu nickte. »Ja, in der Sagenwelt der Maori sowieso … Aber das
erzähle ich dir später. Jetzt solltest du arbeiten.«
    Er deutete auf ein paar große Felsen. »Dort werden nächstes Jahr die
Hobbits kampieren und sich um das letzte Essen streiten.«
    Katharina zückte ihre Kamera und machte Bilder von den
scharfkantigen Felsen, die immer wieder von dampfenden Schwaden halb verborgen
wurden. Sie bedauerte, dass es keine Möglichkeit gab, im Bild festzuhalten, wie
warm der Boden war. Es wurde später Nachmittag, bis sie alle künftigen Drehorte
zu ihrer Zufriedenheit abgelichtet hatte. Auch wenn sie keine gelernte
Fotografin war: Sie wollte, dass diese Reportage auf jeden Fall mit ihren
eigenen Bildern veröffentlicht werden sollte.
    Endlich gab Matiu das Signal zum Aufbruch. »Wenn wir jetzt nicht
allmählich loslaufen, dann wird es dunkel, bis wir wieder bei unserem Auto
sind. Das sollten wir lieber nicht riskieren, es wird kalt in der Nacht – und
man kann sich hier wirklich leicht verlaufen.«
    Katharina nickte, schaltete ihre Kamera aus und machte sich hinter
ihm her auf den Weg ins Tal. Wieder einmal schwor sie sich, dass sie nie wieder
mit derart unpassenden Schuhen eine Bergwanderung machen würde. In dieser
Sekunde glitt Matiu auf etwas losem Geröll aus, verlor das Gleichgewicht und
polterte Hals über Kopf in Richtung Tal. Er wedelte verzweifelt mit den Armen,
um den schnellen Sturz aufzuhalten – aber er hatte weniger Glück als Katharina
einige Stunden zuvor: Kein Strauch und kein Felsen behinderten seinen immer
schneller werdenden Weg. Er war fast zweihundert Meter von Katharina entfernt,
als es ihm endlich gelang, seinen Sturz abzufangen.
    Katharina stieß einen leisen Fluch aus, als sie erkannte, dass Matiu
sich nicht mehr rührte. Hier waren sie abseits der markierten Pfade, es würden
nicht zufällig ein helfender Arzt oder wenigstens hilfsbereite Touristen vorbeikommen.
Sie machte sich, so schnell es ging, auf den Weg zu ihm, verlor immer wieder
den Halt unter den Füßen und rutschte einen Teil der Strecke sogar auf allen
vieren nach unten. »Matiu!«, rief sie immer wieder, aber der junge Mann rührte
sich nicht. Es schien ihr eine Ewigkeit zu dauern, bis sie ihn erreichte.
    Vorsichtig rüttelte sie mit der Hand an seiner Schulter. »Matiu!
Kannst du mich hören!«, rief sie. Erst leise, dann immer lauter und in
zunehmender Panik. Er sah so blass und wehrlos aus, wie er da zwischen den
bräunlich-rötlichen Steinen lag. Mitten auf seiner Stirn lief ein dünner roter
Faden über seine Nase bis hin zum Mund. Katharina beugte sich vor, um auf
seinen Atem zu lauschen. Sie verfluchte sich, dass sie Sina nie genauer
zugehört hatte, wenn sie die Grundlagen der Ersten Hilfe erklärt hatte. Und sie
heulte fast vor Erleichterung, als sie seine tiefen, regelmäßigen Atemzüge
vernahm. Was sollte sie jetzt tun? Ihn hier liegen lassen und Hilfe holen? Sie
schüttelte den Kopf. Was, wenn er aufwachte und in Panik geriet, weil er
glauben musste, dass sie ihn allein gelassen hatte? Nein, sie musste hier bei
ihm bleiben. Aufgeregt wühlte sie in ihrem kleinen Rucksack, fand das

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