Der Gesang der Maori
Arm voller Holz zurück zu ihrem Lagerplatz kamen,
hatte Matiu schon einen Ring aus groÃen Steinen, die er in seiner Griffweite
gefunden hatte, gelegt. Wenige Minuten später saÃen sie an einem wärmenden
Feuer, und es wurde fast gemütlich. Sie teilten sich das Brötchen und lehnten
sich nebeneinander gegen einen Felsen.
Ãber ihnen blinkten zunächst ein paar Sterne, und als es endgültig
Nacht wurde, sahen sie über sich das breite Band der MilchstraÃe. Neugierig
legte Katharina den Kopf in den Nacken. »Merkwürdig â zu Hause kann ich nur ein
paar Sternzeichen benennen, aber hier weià ich sofort, dass mir der Himmel
fremd ist. Fast, als hätte sich mir im Laufe der Jahre ein Bild des
Sternenhimmels ins Hirn eingebrannt.« Sie drehte den Kopf ein wenig und deutete
auf drei Sterne, die in einer Reihe standen. »Schau dir das an: Das ist der
Orion â nur er steht auf dem Kopf. Den erkenne ich immer â¦Â«
»Orion auf dem Kopf?« Matiu fing an zu lachen. »Vergiss es. Das hier
ist die Pfanne des Teufels. Siehst du nicht den Griff?«
»Der Griff ist das Schwert! Bloà weil Orion auf dem Kopf steht, muss
er doch sein Schwert nicht abgenommen haben â¦Â«
»Aber das da, das heiÃt auch bei euch Kreuz des Südens, oder?« Matiu
deutete auf das tief über dem Horizont hängende Wahrzeichen der südlichen
Halbkugel.
»Ja, das kann man bei uns nicht sehen, das dürft ihr behalten«,
grinste Katharina. Dann wurde sie ernster.
»Du hast gesagt, dass es eine Sage über den Ruapehu gibt. Willst du
mir die nicht erzählen? Jetzt haben wir doch genug Zeit!«
»Gerne«, nickte Matiu. »Tatsächlich ist sie der Grund, warum im Film
der Berg nie zu sehen sein wird. Die Filmemacher wollen den Maori Respekt
erweisen, indem sie zwar die Gegend hier als Mordor verkaufen â aber eben nicht
den Ruapehu.«
Er lehnte sich zurück und fing an zu erzählen. Erst jetzt fiel
Katharina auf, was für eine tiefe, angenehme Stimme er hatte.
»Ruapehu war einst eine wunderschöne, junge Frau. Sie war
verheiratet, so wie wunderschöne Frauen das leider so häufig sind â und zwar
mit Taranaki. Der ging eines Tages jagen und dachte, sie würde ihm in der
Zwischenzeit sicherlich seine Hütte sauber halten. Leider hat Ruapehu sofort
die Gelegenheit ausgenützt und sich mit Tongariro eingelassen. Zu allem
Ãberfluss hat Taranaki an diesem Tag rasch Erfolg mit seiner Jagd gehabt und kam
viel früher als geplant nach Hause. So traf er seine Ruapehu in den Armen von
Tongariro an. Das hatte nicht etwa zur Folge, dass er Ruapehu verstoÃen hätte,
sondern dass er mit Tongariro um die wunderschöne Ruapehu gekämpft hat. Der
Kampf der beiden Krieger währte einige Tage, am Ende verlor Taranaki. Er musste
sich zurückziehen â als schwerer Kerl, der so ein Berg nun einmal ist, hat er
dabei das Flussbett des Whanganui ausgehoben. An der Küste angekommen, hat er
sich nach Norden gewandt. Da hat er sich ein bisschen ausgeruht â dabei ist
leider sofort ein Sumpf namens Te Ngaere entstanden. Und da sitzt er jetzt:
tief im Westen und starrt seine geliebte Ruapehu an. Cook hat ihn irgendwann
Egmont genannt, aber wir Maori haben immer gewusst, dass dieser Berg eigentlich
der unglücklich verliebte Taranaki ist. Als Zeichen seiner Liebe hängt an
seinem Kopf meistens ein bisschen Nebel, der in Richtung Ruapehu zieht. Und
Ruapehu hat längst ihren Fehler erkannt und seufzt von Zeit zu Zeit. Dann bebt
bei dieser gewaltigen Dame die Erde.« Er machte eine Pause.
»Und was wurde aus Tongariro? Er hat doch immerhin den Kampf
gewonnen. Dafür sollte er doch ein bisschen Spaà mit seiner Ruapehu haben!«,
wollte Katharina wissen.
»Na ja â Ruapehu hat ja erkannt, dass eigentlich Taranaki ihre wahre
Liebe ist. Also sitzt Tongariro nur herum und qualmt und rumpelt ein bisschen
vor lauter Wut, weil er Ruapehu zwar gewonnen hat â aber nicht besitzen kann.«
»Warum lässt er sie dann nicht einfach ziehen â sie könnte doch auch
den Whanganui herunterrutschen und sich zu ihrem Taranaki setzen.« Katharina
lachte.
Matiu blieb ernst. »Ich denke, wir sollten froh genug sein, dass
alle drei schön da bleiben, wo sie sind. Sonst hätte Neuseeland ein gewaltiges
Problem. Schlimm genug, dass unsere Streithähne immer mal wieder ausbrechen.«
Er deutete in
Weitere Kostenlose Bücher