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Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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hätten sein können.«
    Müde und zufrieden lief John in sein kleines Zimmer. Es wurde
wirklich allerhöchste Zeit, dass er sich eine andere Unterkunft suchte. Dieses
enge, fast fensterlose Loch hatte allmählich ausgedient …
    Tagelang kümmerten sie sich nur um die Etiketten und den Versand –
irgendwann sahen sie mit vor Müdigkeit brennenden Augen dem Frachter hinterher,
der den Hafen von Auckland in Richtung USA
verließ. »Jetzt können wir nur noch hoffen, dass die amerikanischen Hausfrauen
unsere Früchtchen auch zu schätzen wissen«, murmelte Jason. »Wie sieht es aus?
Kann ich dich wenigstens heute Abend auf einen kleinen Schluck überreden? Oder
wenigstens auf ein Abendessen mit einem großen Glas frischen Wasser?«
    Â»Da kann ich nicht widerstehen!«, lachte John. »Vor allem, wenn
deine Frau kocht …«
    An einem der nächsten Wochenenden blieb John gegen alle seine
Gewohnheiten zu Hause. Es gab beim besten Willen nichts in der Firma zu tun,
was seine Anwesenheit irgendwie gerechtfertigt hätte. Als er am Samstagmorgen
die Augen aufschlug, lag das Wochenende lang und öde vor ihm. Noch während er
bewegungslos dalag und die fleckige Decke anstarrte, fiel ihm wieder das Mädchen
von der Rennbahn ein. Ihr Gesang war immer noch irgendwo in seinen Gehörgängen,
er erinnerte sich sofort an ihre glockenhelle Stimme und die wundersame
Melodie. Wenn sie in seiner Nähe wäre, dann würde er seine freie Zeit sicher
mehr genießen. Langsam richtete er sich auf und setzte sich auf die Bettkante.
Vielleicht war es ja an der Zeit, dass er sie endlich suchte. Wer weiß –
vielleicht hatte er Glück, und sie erinnerte sich nicht an ihn? Das hoffte er
inständig, er wollte auf keinen Fall mit dem besoffenen halb nackten Mann unter
der Tribüne in Verbindung gebracht werden …
    Ein Blick in die Zeitungen sagte ihm, dass an diesem Samstag Rennen
abgehalten wurden – mit ein bisschen Glück würde sie also morgen früh wieder
singend über die Rennbahn ziehen und den Müll der Pakeha wegräumen, die sich am
Tag vorher auf der Rennbahn vergnügt hatten. Die Aussicht auf dieses
Wiedersehen verbesserte seine Laune schlagartig. Fröhlich vor sich hin summend
stand er auf, putzte sein kleines Zimmer und ging endlich einmal wieder
einkaufen. Als er am späten Vormittag mit einer Zeitung in einem Café saß, fand
er sein Leben doch ganz brauchbar.
    Am nächsten Morgen stand er noch vor der Morgendämmerung auf und
machte sich auf den langen Weg zur Pferderennbahn. Als er ankam, lag ein
märchenhafter, leichter Nebel über dem Geläuf, während sich der Himmel rosig
verfärbte. John lehnte sich an den Zaun, der die Rennbahn einschloss, und kam
sich vor wie in einem Traum, als auch noch zwei verschwitzte, schwer atmende
Pferde aus dem Nebel auftauchten, Seite an Seite an ihm vorübergaloppierten und
wieder verschwanden. Die Jockeys riefen sich hin und wieder Befehle zu, die
über die menschenleere Bahn hallten. Ohne die schreiende Menschenmenge und die
Unmengen von Bier war diese Rennbahn fast ein schöner Ort. Nur der
Reinigungstrupp ließ auf sich warten. John sah weiter Pferden bei der
Morgenarbeit zu, hörte schimpfende Trainer und sah immer wieder diese
schweißnassen, schwer atmenden Leiber in rasendem Galopp. Das Treiben zog ihn
so sehr in den Bann, dass er fast die fünf Frauen übersehen hätte, die sich auf
der menschenleeren Tribüne zu schaffen machten. Erst als zwei von ihnen ein
Lied anstimmten – ein ganz anderes als jenes, das sich vor Jahren in seine
Gehörgänge gebrannt hatte –, wurde er auf sie aufmerksam und rannte die Treppen
zu ihnen nach oben.
    Eine ältere Frau mit einem runden Gesicht und grauen Haaren sah ihm
neugierig entgegen und stützte sich dabei auf ihren Besen. Er streckte ihr die
Hand hin und versuchte ein freundliches Lächeln.
    Â»Entschuldigen Sie, ich bin auf der Suche …«
    Â»Wir haben nichts gefunden!«, unterbrach sie ihn mit einem sehr
bestimmten Ton in der Stimme.
    Â»Nein, keine Sache. Eine Frau. Ich habe …«
    Sie ließ ihn nicht ausreden. »Eine Frau, die Sie interessieren
sollte, haben wir ganz bestimmt auch nicht bei uns!«
    Â»Doch. Ich habe sie vor Jahren in Ihrer Gruppe gesehen. Eine kleine,
zierliche, mit sehr langen Haaren. Sie hat gesungen …«
    Einen

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