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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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wirklich perfekt aus. Du hast es geschafft, also wirst du auch dabei sein.«
    Er schüttelte den Kopf. »Es ist noch nicht wirklich fertig, Copper. Ich möchte es an den Seiten und am Bug bemalen und weiß auch schon, wie. Aber es ist viel Arbeit und alleine schaffe ich das nicht. Ich dachte … wo du doch malen kannst … vielleicht wäre es möglich, dass du mir dabei ein wenig hilfst.«
    Ãœberrascht blickte ich auf. Im nackten Licht der Glühbirne sah Javid auf einmal so verloren aus, wie ich mich oft fühlte. Vielleicht hatten wir doch mehr gemeinsam, als ich zuerst angenommen hatte. Ich hätte ihm jetzt von meiner Mutter erzählen können, von meiner Trauer und meiner Einsamkeit. Aber dann hätte mein Schmerz seinen nur überlagert, und das machte keinen Sinn, weil es uns beiden nicht geholfen hätte.
    Â»Wenn du mir sagst, was ich machen muss, und wenn du glaubst, dass ich das auch kann, werde ich dir gerne helfen«, sagte ich.
    Javids Gesicht hellte sich auf. »Natürlich wirst du das können. Aber nun lass uns an den Strand fahren. Du wolltest malen und ich habe dich die ganze Zeit davon abgehalten.«
    Er hatte noch keines meiner Bilder gesehen, aber er traute mir zu mit ihm dieses Kanu zu bemalen, an dem ihm so viel lag. Das schmeichelte mir ungeheuer.

9. Kapitel
    W ir verließen die Siedlung Waatch und fuhren wieder bis zu jener Stelle, an der die Straße sich gabelte. Diesmal bog Javid nach rechts auf die Holzbrücke und wir überquerten den Fluss. Kurz darauf kamen wir an einem Campingplatz vorbei, auf dessen riesigem, baumlosem Gelände nur vereinzelt ein paar Zelte und drei oder vier Campingwagen standen. Mit Tourismus schien es in Neah Bay tatsächlich nicht weit her zu sein. Verstehen konnte ich es nicht, denn dieses Land zwischen Meer und Küstenwald war einmalig schön.
    Die Strandstraße am Hobuck Beach schien kein Ende nehmen zu wollen. Ich reckte meinen Hals in der Hoffnung, ab und zu einen Blick auf das Meer werfen zu können. Eigentlich wollte ich nur noch raus aus dem Auto, aber Javid schien ein ganz bestimmtes Ziel zu haben.
    Nach ein paar Meilen waren wir endlich da. Er parkte den Wagen am Rande der Straße, kurz bevor sie in einen dichten Mischwald abbog. Auf einem großen Schild las ich, dass Parken hier unter Androhung furchtbarer Strafen strengstens verboten war.
    Â»Mach dir nichts draus«, meinte Javid achselzuckend dazu. »Das gilt nur für Fremde.«
    Ich nahm meine Tasche und Javid seinen Rucksack, dann liefen wir los. Das Meer war nicht weit, nur ein paar Schritte über den Strand. Ich hörte es verheißungsvoll rauschen und atmete den salzigen Geruch nach Meeresalgen und Fisch, der aus den dunklen Tiefen des Ozeans heraufkam.
    Ein paar Schritte weiter türmten sich vor uns angeschwemmte, ineinander verkeilte Baumstämme auf. Mannshoch. Silbern ausgeblichen vom Salzwasser und der Sonne, erinnerten sie mich an einen Haufen riesiger Knochen, abgenagt von einem Ungeheuer.
    Javid sprang auf den ersten dicken Stamm und reichte mir seine Hand. »Komm!«, sagte er. »Da müssen wir rüber.« Er zog mich nach oben und ich setzte meine Füße auf das bleiche Holz. Javid prüfte immer zuerst, ob der Stamm auch fest verkeilt war, bevor er ihn betrat. »Das war Sisiutl, ein Ungeheuer aus dem Meer«, eröffnete er mir. »Es hat die Bäume entwurzelt, sie herumgeschleudert wie Mikadostäbchen und ihnen die Rinde vom Leib geschält. Siehst du, wie sie sich vor ihm gefürchtet haben?« Er zeigte auf eine spiralförmig verdrehte Wurzel an einem der mächtigen Stämme. »Der Baum hat sich gewunden vor Angst, als er Sisiutl ins Gesicht blickte. Vielleicht hat er versucht zu fliehen, aber es ist ihm nicht gelungen.«
    Ich betrachtete beeindruckt die Wurzel, die sich wie ein überdimensionaler Korkenzieher in den Himmel bohrte. »Sisiutl muss ganz schönmächtig sein«, sagte ich, denn noch war mir nicht klar, wie ernst er das Gesagte meinte.
    Â»Du glaubst mir nicht, was?« Mit seinen dunklen Augen suchte er mein Gesicht nach einer Antwort ab.
    Ich holte tief Luft. »Ich mag solche Geschichten. Die Grenzen deiner Phantasie sind die Grenzen deiner Welt, hat mal jemand gesagt. Meine Welt ist groß.«
    Keine Ahnung, warum, aber Javid gab sich in diesem Moment mit meiner Antwort zufrieden. »Sisiutl ist ein furchtbares Ungeheuer«, fuhr er mit

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