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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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zurück. Einer Welt, die ich nicht kannte.
    Â»Ich weiß«, sagte er und lächelte. Als er in diesem Augenblick nach meinem Haar fasste, zuckte ich nicht zurück. Er nahm eine Strähne zwischen Daumen und Zeigefinger und rieb sie. »In der Sonne leuchtet es wie Kupfer und Gold«, sagte er. »Es ist, als würde ich in eine Schatztruhe greifen.«Das Blut schoss mir ins Gesicht. »Dein Vater hat helles Haar, also musst du das Kupfer von deiner Mutter geerbt haben.« Fragend sah er mich an.
    Ich legte vorsichtig den Pinsel aus der Hand und mein fertiges Bild zur Seite. »Meine Mutter hatte ganz schwarze Haare so wie du«, sagte ich und stellte verwundert fest, dass ich darüber reden konnte, ohne dass es weh tat in der Kehle – und im Herzen.
    Â»Sie hatte?« Javids Blick bekam etwas Ernstes. Ein anderer hätte dieses kleine Wörtchen vielleicht überhört, aber nicht Javid Ahdunko. Seinem wachsamen Geist entging nichts.
    Â»Meine Mutter hatte Krebs«, sagte ich und sah ihm dabei in die Augen. »Sie ist vor einem halben Jahr gestorben.« Nun war es raus. Endlich hatte ich mich durchgerungen es ihm anzuvertrauen.
    Javid strich mir mit einer teilnahmsvollen Geste das Haar aus der Stirn. »Warum hast du es mir nicht eher gesagt, Sofie?«
    Mir gefiel, wie mein Name aus seinem Mund klang. Als er ihn an diesem Nachmittag das erste Mal aussprach, löste sich meine Furcht, von Javid enttäuscht zu werden, endgültig. Sie flog davon wie Papierschnipsel im Wind. Ich fühlte mich seit langer Zeit wieder angenommen, wie ich war.
    Â»Weil mir die Kehle brennt, wenn ich von ihr rede«, sagte ich. »Weil ich dann jedes Mal weinen muss, wenn mir bewusst wird, wie sehr sie mir fehlt.«
    Javid rutschte näher an mich heran und legte tröstend seinen Arm um meine Schulter. »Hab doch einfach den Mut, traurig zu sein. Du musst sie loslassen.«
    Â»Ich versuche es ja.«
    Â»Aber du weinst gar nicht«, stellte er fest.
    Â»Das passiert mir zum ersten Mal. Sonst muss ich immer weinen, wenn ich an sie denke.«
    Â»Es ist das Meer«, behauptete Javid. »Es hat die Macht, Wunden in die Herzen der Menschen zu reißen, aber es kann sie auch heilen. Ich komme oft hierher. Dann weiß ich, dass ich meinem Vater ganz nah bin.«
    Als Javid seinen Vater erwähnte, erschrak ich heftig. Es war schon später Nachmittag, die Zeit war wie im Fluge vergangen. Mein Vater würde längst aus Port Angeles zurück sein und sich Sorgen um mich machen. Bestimmt konnte ich mir eine saftige Predigt anhören. Vielleicht würde er mir sogar verbieten allein mit Javid unterwegs zu sein.
    Â»Ich muss zurück«, sagte ich, »auch wenn ich gerne noch bleiben würde. Mein Vater wird nur selten wütend, aber wenn er sich ernsthaft Sorgen um mich macht, dann kann er es werden. Seit Mama nicht mehr da ist, hat er sich verändert. Manchmal verstehe ich ihn einfach nicht.«
    Â»Eigentlich wollte ich dich noch zu einem Fischessen einladen«, sagte Javid, ohne auf meine letzten Worte einzugehen.
    Â»Dann lass uns fahren!«
    Â»Nein«, meinte er kopfschüttelnd. »Ich wollte ein Feuer machen und sie braten.«
    Â»Hier?«
    Â»Ja, warum nicht?«
    Â»Darf man denn so einfach ein Feuer am Strand machen?«
    Â»Natürlich.« Er sah mich ungläubig an. »Es ist schließlich unser Strand.«
    Â»Ein anderes Mal vielleicht«, schlug ich vor. »Aber jetzt muss ich wirklich nach Hause, sonst bekomme ich mächtigen Ärger.«
    Bevor ich aufstehen konnte, legte Javid seine Hand auf meinen Arm und deutete mit dem Kopf auf das Bild. »Du kannst gut malen, es gefällt mir. Es gefällt mir sehr.«
    Mir gefiel das Bild auch, was nicht sehr oft vorkam. »Ich habe noch nie mit Salzwasser gemalt«, sagte ich. »Die Farben werden ganz anders, irgendwie intensiver.«
    Ich packte zusammen und wir kletterten wieder über die schöne und gefährliche Treibholzbarriere. In einer Hand trug Javid die großen Fische, durch deren offene Mäuler er einen Draht gezogen hatte. Mit der anderen führte er mich sicher über die Stämme. Der Weg zurück erschien mir viel zu kurz, um mich wieder auf meinen besorgten Vater einzustellen.
    Als wir am Waatch River entlangfuhren, sah ich Kinder und Jugendliche im Süßwasser baden. Es war sehr warm geworden und ich hatte auch Lust, schwimmen zu gehen. Zwar hatte ich

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