Der Gesang der Orcas
vorsorglich meinen Badeanzug eingepackt, weil ich irgendwie geglaubt hatte im Meer baden zu können, aber daraus würde wohl nichts werden. Jetzt hieà es, so schnell wie möglich ins Motel zurückzufahren, damit mein Vater sich nicht unnötig Sorgen machte und zu viel Zeit hatte, um über strengere Regeln nachzudenken.
10. Kapitel
U nser roter Leihwagen stand bereits vor dem Motel, als Javid den Pick-up daneben abstellte.
»Er ist schon da«, sagte ich beklommen. Bestimmt konnte ich mir einiges anhören.
»Keine Angst, Copper. Meine Mutter hat ihm sicher gesagt, wo wir hingefahren sind.«
Ich hoffte, Papa würde das genügen. Nachdem ich mich bei Javid bedankt hatte, eilte ich die AuÃenstufen nach oben und klopfte an die Zimmertür meines Vaters. Zur Antwort bekam ich nur ein Brummen. Ich ging hinein und fand ihn auf seinem Bett sitzend, wie er die Karte der Olympic-Halbinsel studierte.
»Wo warst du?«, fragte er unwirsch und musterte mich eindringlich.
»Hi, Papa«, antwortete ich. »Schön, dass du wieder da bist. Wie geht es deinem Zahn?«
»Er ist drauÃen«, nuschelte er, » aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet.«
»Ich war am Meer und habe gemalt. Hat Freda dir das nicht ausgerichtet?«
»Ich habe Freda nur kurz gesprochen und ja, sie sagte etwas von Strand. Ich bin den ganzen Strand von Neah Bay abgelaufen, aber dich habe ich nirgends gesehen. Wo warst du?«
Nun hörte er sich gar nicht mehr freundlich an. Papa schien sich in seinen Ãrger hineinsteigern zu wollen. Seine Stimme hatte diesen seltsamen Klang, der nach einer eindeutigen Antwort verlangte. Wenn er so war, mochte ich ihn überhaupt nicht.
»Ich war mit Javid am Sooes Beach, auf der anderen Seite des Kaps.« Zum Beweis reichte ich ihm mein Bild und setzte mich in einen der schäbigen Polstersessel. »Es gibt da eine Menge wunderschöne Motive, das solltest du dir auch mal ansehen. Vielleicht kannst du dort ein paar interessante Fotos machen.«
Oje, ich hatte genau das Falsche gesagt. Er war sauer und hatte Schmerzen, das lieà er mich nun spüren. »Habe ich das richtig verstanden, junge Dame?«, brauste er auf. »Du kennst dich hier schon so hervorragend aus, dass du glaubst mir sagen zu müssen, was ich mir ansehen soll?« Es klang erbärmlich, weil er noch Zellstoff im Mund hatte und nicht richtig reden konnte. »Ich dachte, wir sind hierher gekommen, weil wir die Gegend gemeinsam erkunden und etwas mehr Zeit miteinander verbringen wollen.«
Ich hatte keine Angst vor meinem Vater. Er hatte noch nie die Hand gegen mich erhoben, auch nicht, als ich noch klein war. Ich wusste,dass er sich auch im gröÃten Ãrger nicht dazu hinreiÃen lassen würde, mich zu schlagen. Aber wenn er einmal eine Strafe verhängte, dann blieb er dabei. Konsequenz nannte er das und ich hatte ihn und Mama oft darüber diskutieren hören. Seiner Meinung nach war meine Mutter nie konsequent genug gewesen, wenn es darum ging, mich zu erziehen. Sie wiederum behauptete, dass es leicht sei, konsequent zu sein, wenn man nur selten einmal zu Hause war.
Ich hatte nicht vor meinen ohnehin schon aufgebrachten Vater noch zusätzlich zu reizen, weil mir das ganz sicher nichts Gutes bringen würde. Trotzdem sprudelten die Worte aus mir heraus wie Wasser aus einem Leck: »Wir waren zusammen unterwegs, Papa, aber geredet haben wir weder über uns noch über Mama. Du redest über alles Mögliche, nur nicht über sie. Und hergekommen bist du in erster Linie, weil du einen Job zu erledigen hast. Mich hast du nur mitgenommen, damit du kein schlechtes Gewissen haben musst. Es funktioniert aber nicht so, wie du dir das vorgestellt hast, Papa. Merkst du das nicht?«
Mein Vater sprang auf und hob die Hände, als wolle er etwas erwidern, aber dann blieb er doch still. Er sah mich nur seltsam an, als wäre ich eine Fremde für ihn.
»Ich habe Javid gern und er hat Zeit für mich«, sagte ich. »Er hilft mir das Land und die Leute zu verstehen. Was ist so schrecklich daran?«
Mein Vater schüttelte langsam den Kopf, als könne er nicht begreifen, was ihm gerade in den Sinn kam. »Du hast dich verändert, seit wir hier in Neah Bay sind, Sofie«, sagte er leise. Er betrachtete mich, als wäre ich vollkommen neu für ihn.
»Wir sind erst seit zwei Tagen hier«, erinnerte ich ihn.
»Das ist es ja
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