Der Gesang der Orcas
mir auf einmal sicher, dass er sich nicht nur für meine roten Haare interessierte, sondern wirklich jemanden brauchte, dem er von seinen Zweifeln erzählen konnte. Ein verwegenes Gefühl von Selbstvertrauen hatte von mir Besitz ergriffen. In dieser Stimmung lieà sich das Geturtel von Lorraine und meinem Vater leichter ertragen.
Als ich später in meinem Bett lag, schwirrten Pläne wie bunte Schmetterlinge durch meinen Kopf. Schmetterlinge waren auch in meinem Bauch. Ich war verliebt und wurde geliebt. Das machte die Trauer, die in mir war, weniger schroff und verzweifelt. Wie auf dicken, wattigen Wolken schwebte ich dahin und entfernte mich immer mehr von diesem Zustand, den die Erwachsenen Kindheit nennen. Nur Papa wollte das irgendwie nicht wahrhaben. Für ihn würde ich wohl ewig die kleine Sofie mit den dünnen Armen und Beinen sein, die er auf seinen Schultern getragen hatte, wenn sie müde wurde. Auch jetzt waren meine Beine manchmal müde. Aber ich hatte längst begriffen, dass ich trotzdem weitergehen musste, wenn ich mein Ziel erreichen wollte.
17. Kapitel
I n Gedanken hatte ich mir bereits ausgemalt, wie Javid und ich weiter am Kanu arbeiten würden. Vielleicht konnte ich noch mehr von ihm erfahren, von seinem Vater und den alten Traditionen. Ich freute mich schon so auf die Arbeit im Schuppen, dass ich furchtbar enttäuscht war, als sich am nächsten Morgen herausstellte, dass ich meine Pläne ändern musste.
Onkel Henry brauchte Javid auf seinem Boot. Er wollte zum Fischen ausfahren und der junge Mann, der ihn sonst dabei begleitete, war krank geworden.
»Ich muss Onkel Henry helfen, Copper«, sagte Javid. »Meine Mutter und ich, wir haben ihm viel zu verdanken.« Er stand in Gummihosen in seinem Zimmer und griff nach seiner gelben Ãljacke. »Na, komm«, meinte er aufmunternd. »Du wirst auch mal einen Tag ohne mich zurechtkommen.«
Ich tröstete mich damit, dass auch Javid wenig begeistert davon war, mit seinem Onkel fischen fahren zu müssen. Trotzdem schmollte ich ein wenig. Mein missmutiges Gesicht reizte Javid zum Lachen. Er küsste mich, erst heftig und dann so zärtlich, dass ich den Boden unter den FüÃen verlor. Ich hielt mich mehr an ihm fest, als dass ich ihn umarmte.
»Du hast mich ja richtig gern, Copper«, sagte er erstaunt.
Ich lauschte seinem flachen Atem nach dem Kuss. »Was hattest du denn gedacht?«
Sein Blick war unergründlich. »Ich weià nicht. Ich weià nicht, was du wirklich willst.«
»WeiÃt du denn, was du willst?«
»Oh ja«, sagte er im Brustton der Ãberzeugung. »Aber jetzt muss ich los, mein Onkel wartet bestimmt schon.«Javid verschloss sein Zimmer hinter mir und eilte davon.
Ein wenig verloren stand ich da. Vorne, auf der StraÃe, unterhielt sich mein Vater mit Lorraine. Dann stieg sie in ihren Wagen und fuhr weg. Papa winkte mir und ich ging zu ihm.
»Hat dein Freund heute keine Zeit für dich?«, fragte er und legte einen Arm um meine Schulter.
»Er muss seinem Onkel auf dem Boot helfen«, antwortete ich brummig.
»Lorraine hat heute auch keine Zeit für mich. Sie hat sich mit einigen Leuten vom Stammesrat zu Gesprächen verabredet und wird den ganzen Tag zu tun haben.« Er stupste mir zärtlich unters Kinn. »Was machen wir zwei Ãbriggebliebenen denn nun?«
Ich zuckte die Achseln. »Ich werde wohl malen.«
»Vielleicht kannst du mir ja auch helfen, Sofie«, schlug er vor. »Das Wetter macht einen ganz guten Eindruck und ich könnte Aufnahmen von den Papageientauchern am Cape Flattery machen. Das wird sieher eine ziemliche Kletterei und ich könnte jemanden brauchen, der mir dabei hilft.«
Ich überlegte eine Weile und fand die Idee gar nicht so schlecht. »Na gut«, sagte ich. »Ich komme mit.«
Mein Vater trug seine Fotoausrüstung in den Wagen und ich packte meine Malsachen zusammen. Mit einem Fotografen unterwegs zu sein konnte sehr schnell anstrengend werden. Zum Beispiel, wenn er irgendwo ein gutes Motiv entdeckt hatte, dann aber noch das passende Licht fehlte und ewig auf die Sonne gewartet werden musste, die sich hinter einer dicken Wolke versteckte.
Darauf wollte ich vorbereitete sein.
Papa kannte den Weg zum Kap. Allerdings fuhr er die asphaltierte StraÃe, die fast bis zum Parkplatz führte, und nicht den kürzeren Holperweg, den Javid mit mir gefahren war. Ich half ihm beim
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