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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Vielleicht konnten wir am Nachmittag mit dem Schlauchboot rausfahren, um nach unseren Freunden Ausschau zu halten. Aber was, wenn Tyler McCarthy dann noch im Schuppen saß und an seinen Paddeln schnitzte? Was, wenn er mitwollte?
    Obwohl wir erst spät von den Sol Duc Hot Springs zurückkehrten, klopfte ich noch an Javids Tür. Niemand antwortete. Von Freda erfuhr ich, dass er nicht nach Hause gekommen war.
    Erschöpft vom langen Sitzen im heißen Wasser, legte ich mich gleich schlafen. Ich hatte Javid nur ein paar Stunden nicht gesehen und schon fehlte er mir. Was sollte nur werden, wenn ich erst wieder in Deutschland war?
    Am nächsten Tag erschien Tyler kurz nach uns im Schuppen. Javid und er hatten bis in die Nacht an den Paddeln gearbeitet und nun konnte man schon gut ihre endgültige Form erkennen. Am oberen Ende hatten sie einen Griff und unten liefen sie ungewöhnlich spitz zu. Das sei typisch für Makah-Paddel, klärte mich Tyler auf.
    Javid sagte mir, dass sie noch lange nicht fertig waren. Während wir an der Bemalung des Kanus arbeiteten, schnitzte und schliff Tyler an den Paddeln. Er war ganz bei der Sache und wirkte weniger unruhig als an dem Nachmittag in seinem Zimmer. Jetzt hatte er ein Ziel.
    Sein Verhalten mir gegenüber hatte sich auch verändert. Irgendwie schien er meine Anwesenheit und sogar meine Hautfarbe akzeptiert zu haben. Ich schrieb diesen Sinneswandel Javid zu, der seinem Freund vermutlich ins Gewissen geredet hatte.
    Es wurde Mittag und der Himmel klarte auf. Die Sonne kam hervor und das Meer war ruhig wie ein kleiner See. Sehnsüchtig suchte ich die Linie am Horizont nach den schwarzen Flossen ab, aber mit bloßem Auge konnte ich nicht viel erkennen.
    Zur Mittagszeit erschien Alisha mit einem großen Picknickkorb am Schuppen und wir fuhren in Tylers Thunderbird auf den Archawat Peak. Javid musste seinem Freund mächtig ins Gewissen geredet haben, denn Tyler war überaus höflich zu Alisha.
    Der Nachmittag wurde ganz lustig, obwohl zu Anfang die verpasste Gelegenheit, die Wale zu sehen, meine Stimmung trübte. Aber Tyler hatte einen so trockenen Humor, dass er uns mehrmals dazu brachte, in schallendes Gelächter auszubrechen.
    Alisha offenbarte uns, dass ich die halbe Mädchenwelt von Neah Bay gegen mich aufgebracht hatte.
    Â»Warum?«, fragte ich entgeistert.
    Â»Du weißt es wirklich nicht?« Sie bog den Kopf in den Nacken und lachte. »Sie sind eifersüchtig, weil du ihnen den begehrtesten Jungen aus dem ganzen Ort weggeschnappt hast.«
    Javid wurde tatsächlich rot unter seiner braunen Haut. »Red bloß nicht solchen Unsinn, Alisha«, sagte er. »Sie glaubt dir das sonst noch.«
    Â»Es ist die Wahrheit, Javid. Nur dass du dich nicht um die Gefühle der Mädchenwelt von Neah Bay scherst. Du hast ja bloß dein Kanu im Kopf.«
    Â»Und die Mädchen haben nur irgendwelche Klamotten und ausgefallene Frisuren im Kopf, mit denen sie dann aussehen wie Monster«, entgegnete er unwirsch und zog eine Grimasse.
    Alisha prustete erneut los. »Und dich haben sie im Kopf, Javid!«
    Â»Ich bin ja nicht mehr lange da«, sagte ich in einem plötzlichen Anflug von Traurigkeit. »Dann haben sie ihn wieder für sich.«
    Alisha musterte mich stirnrunzelnd. »He Sofie, so war das nicht gemeint.«
    Â»Lasst uns doch einfach den Tag genießen«, schlug Tyler vor. »Wer weiß schon, was morgen sein wird? Ich finde es absolut bemerkenswert,das Javid sich überhaupt für eine Frau interessiert. Dachte manchmal schon, er wäre vielleicht schwul.«
    Darüber konnte er sich ausschütten vor Lachen. Sogar Javid lachte kopfschüttelnd mit. Er legte den Arm um meine Schulter und danach erzählten wir von anderen Dingen.
    Der Himmel präsentierte sich wolkenlos und es war beinahe windstill am nächsten Morgen. Ich nahm es als gutes Zeichen und hoffte, Javid und ich würden am Nachmittag aufs Meer hinausfahren können, um nach unseren Orcas zu suchen. Aber dann fiel mir ein, dass Mittwoch war und Javid seinen Vormittag damit zubringen musste, die Mülltonnen von Neah Bay zu leeren.
    Da war nichts zu machen.
    Am Nachmittag würden wir dann am Kanu weiterarbeiten müssen, das sah ich schweren Herzens ein. Das Fest rückte näher und die Bemalung des Kanus war noch nicht fertig. Die Muster mit Farbe auszufüllen war komplizierter, als ich zuerst angenommen hatte. Es

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