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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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die zuvor. In ihm hatten Sehnsucht gelegen und unaussprechliche Wünsche. Natürlich hatte ich mich auch diesmal nicht verändert. Dasselbe spitze Gesicht, dieselben Augen, derselbe Mund. Ich war immer noch fünfzehn und furchtbar unerfahren. Auch ich hatte Wünsche, wusste aber nicht, wohin sie mich führen würden. Regionen meines Körpers, auf deren Stimmen ich bisher nicht gehört hatte, meldeten sich zu Wort. Meine heimlichen Gedanken verunsicherten mich gewaltig.
    Ich duschte und zog frische Sachen an. Als ich meine Tuschezeichnungen noch einmal begutachtete, klopfte es. Freda stand vor der Tür. Sie überreichte mir eine Ladung frische Handtücher und zwei Rollen Toilettenpapier. Ich trug alles ins Bad und brachte ihr die benutzten Handtücher zurück.
    Â»Brauchst du noch irgendetwas, Sofie?«, fragte sie mit einem freundlichen Lächeln.
    Ich schüttelte den Kopf. »Alles ist bestens.«
    Sie entdeckte die Zeichnungen auf dem Tisch und betrachtete sie interessiert.
    Â»Tyler ist mir besser gelungen als Javid«, kritisierte ich meine Arbeit.
    Â»Bei Tyler warst du ehrlicher. Bei Javid fehlte dir dazu der Mut.«
    Vielleicht hat sie Recht, dachte ich.
    Â»Kommst du mit?«, fragte Freda. »Das Abendessen ist fertig. Javid hat gekocht.«

20. Kapitel
    I ch begleitete Freda nach unten, und als wir durch die Eingangstür traten, kam uns ein köstlicher Duft entgegen. Javid hantierte in der Küche. Er trug eine blau gestreifte Schürze und das Haar hatte er zu einem Zopf geflochten. Er wirkte gestresst, aber als er mich sah, lächelte er.
    Wir mussten uns setzen und er füllte mit einer Kelle Suppe in die tiefen Teller. Rötliche Fleischstücke, Kartoffeln, Lauch. »Lachssuppe«, sagte er. »Lasst es euch schmecken.«
    Javid setzte sich zu uns, nahm aber seine Schürze nicht ab. Die Suppe war noch sehr heiß,deshalb pusteten wir alle, worüber wir schließlich lachen mussten.
    Â»Du wirst sicher genug haben von Fisch, wenn du wieder zu Hause bist«, sagte Freda zu mir.
    Â»Oh nein«, entgegnete ich. »Er schmeckt ja jedes Mal anders. Ihr habt so viele verschiedene Arten, den Fisch zuzubereiten.«
    Â»Das haben wir unseren Vorfahren zu verdanken. Fisch war ihre Hauptnahrung, und damit es nicht jeden Tag dasselbe gab, ließen sie sich bei der Zubereitung etwas einfallen.«
    Â»Warum haben sie eigentlich nicht gejagt?«, fragte ich. » In den Wäldern gibt es doch Wild.«
    Â»Sie haben gejagt«, sagte Freda. »Aber niemand ging gern tief in die dunklen Wälder jenseits unserer Dörfer. Da trieben gefährliche Geister ihr Unwesen.«
    Â»Im Meer doch auch«, bemerkte ich. »Javid hat mir von Sisiutl erzählt.«
    Â»Das stimmt.« Freda nickte. »Aber mit den Geistern des Meeres kamen wir Küstenbewohner einfach besser zurecht.«
    Als Hauptspeise servierte uns Javid gebratene Putenfiletstreifen, Kartoffeln und ein Gemüse, das wie dünne Rhabarberstängel aussah. Ich kostete und es schmeckte wie eine Mischung aus Broccoli und Spargel.
    Â»Was ist das?«, fragte ich.
    Â»Junge Farnwedel«, klärte Javid mich grinsend auf. »Schon unsere Vorfahren haben sie gegessen. Fast alles, was sie zum Leben brauchten, konnten sie aus dem Wald und aus dem Meer holen. Wir gehen stattdessen in den Supermarkt.«
    Freda schmunzelte, sagte aber nichts. Zum Nachtisch gab es Salmonbeeren mit Honig, und als wir das Geschirr abräumten, fragte Freda, wie weit wir mit dem Kanu vorangekommen waren.
    Â»Ganz gut«, antwortete Javid. »Wir werden es schon schaffen. Heute ist Tyler im Schuppen aufgetaucht. Er will sich um die Paddel kümmern.«
    Â»Ich habe ihn zu euch geschickt«, sagte Freda. »Er hat nach dir gesucht und schien mir ein bisschen verloren. Ich hoffe, er hat euch nicht gestört.«
    Â»Hat er nicht, Mom. Aber irgendwie kam er mir seltsam vor. So war er früher nicht.«
    Freda räumte das Geschirr in die Spüle. »Ich denke, er ist auf der Suche nach sich selbst, Javid. Erst wollte er unbedingt fort von hier und wie ein Weißer leben. Und nun merkt er, dass es da draußen in der Welt der Weißen auch nicht so toll ist, wie er es sich erhofft hatte. Ich bin froh, dass du ihm eine Chance gegeben hast.«
    Javid zuckte die Achseln. »Tyler war nie besonders zuverlässig. Heute hat er Alisha versetzt und sie hat es ihm mächtig übel

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